■ Kommentar
: Absage an die Menschenrechte  Boris Jelzin und Jiang Zemin sind sich einig

Das Timing hätte fataler nicht sein können. Die Herrscher zweier Weltmächte und Mitglieder des UN-Sicherheitsrats leugneten pünktlich zum gestrigen Tag der Menschenrechte deren weltweite Gültigkeit. Staatliche Souveränität sei wichtiger als die Universalität dieser Grundrechte, lautete die Botschaft von Boris Jelzin und Jiang Zemin bei ihrem Gipfeltreffen in Peking. Damit unterlaufen sie sämtliche Bemühungen, die Menschenrechte zum globalen Anliegen zu machen.

Das Ziel dieses Engagements für Menschenrechte ist eindeutig: Despoten soll es nicht mehr freistehen, die „eigene“ Bevölkerung nach Belieben zu massakrieren. Trotz hartnäckiger Widerstände ist in den vergangenen Jahren einiges erreicht worden. Hoffnungsschimmer sind – neben teilweise zweifelhaften militärischen Interventionen – das Kriegsverbrechertribunal für Exjugoslawien und das Völkermordtribunal für Ruanda. Auch ein Internationaler Menschenrechtsgerichtshof steht in Aussicht. Das Argument, ein souveräner Staat zu sein, der sich Einmischungen verbietet, taugt nicht mehr als Deckmantel für Menschenrechtsverletzungen, heißt es im Vorwort des gestern veröffentlichen „Weltberichts 2000“ von Human Rights Watch. „Staatsführer, die solche Verbrechen begangen haben, müssen eher mit Bestrafung oder gar einer militärischen Intervention rechnen.“

Doch Jelzin und Jiang erteilten dieser Hoffnung eine Absage: Sie wollen nicht gezwungen werden, „ein unipolares Weltmuster und ein einziges Modell von Kultur und Wertvorstellungen und Ideologie zu akzeptieren“. Mit solchen Worten lässt sich noch jede Schlächterei rechtfertigen. Dem Asiaten seien Individualrechte fremd, hieß es sinngemäß nach dem Massaker am Tiananmen. Die Todesstrafe sei ein Gebot des Koran, hieß es zu Massenhinrichtungen in iranischen Gefängnissen nach der Islamischen Revolution. Die aktuelle Erklärung in Peking ist ähnlich durchsichtig: Jelzin will ungestört Tschetschenen ausrotten, Jiang weiter in Tibet und Xinjiang metzeln lassen. Die Motive der beiden Staatschefs zeigen, wie wohlfeil es ist, die Menschenrechte als „westliche Erfindung“ zu diffamieren. Andere international verbriefte Rechte hat die Menschheit nicht. Was es bedeutet, sie zu entsorgen, wird bald in Grosny zu besichtigen sein.

Thomas Dreger