Erhabener Dom über der Siegessäule“

Nicht nur Nürnberg, sondern auch Berlin stand in der Nazizeit unter dem Zeichen der Lichtdome. 1938 ließ sich Hitler nach seinem Besuch bei Mussolini an der Siegessäule im Tiergarten in einem „Rausch von Licht“ feiern  ■   Von Godehard Janzing

Ein einzigartiger Schmuck, wie ihn Berlin bis jetzt noch nie gesehen hat, wird aber den Tiergarten an diesem Abend beherrschen. Mehr als 500 Scheinwerfer sind auf dem Boden montiert worden. Millionen Watt werden an diesem Abend aufglühen. Lichtsäulen und Lichtfontänen werden steil in den Abendhimmel steigen.“

Was klingt wie eine Ankündigung der Millennium-Inszenierung „Art in Heaven“, stammt tatsächlich aus dem Jahre 1938. Beschrieben werden die Vorbereitungen für den triumphalen Einzug Adolf Hitlers in Berlin am 10. Mai, nach dessen Staatsbesuch in Mussolinis Italien. Noch gigantomaner wird in diesen Tagen das „größte Silvesterspektakel aller Zeiten“ angekündigt. Es verspricht Lichteffekte, die nicht nur für die Berliner neu sind, sondern die die Menschheit „noch nicht erlebt“ hat. Die Formen, die uns als Computersimulationen dargeboten werden, wurden jedoch schon vor 61 Jahren in ähnlicher Weise und zwar am selben Ort verwendet. Eine vergleichbare Wand aus Lichtsäulen, wie sie zu Silvester im Tiergarten aufgerichtet werden soll, verwandelte 1938 die Fahrtroute des „Führers“ vom Lehrter Bahnhof zur Reichskanzlei in einen „lichtdurchfluteten Tunnel“: „Die ganze Siegesallee wird in dieser Nacht ein Rausch von Licht sein, eine strahlende Gasse, die sich ihren Weg durch das Dunkel des Tiergartens bahnt.“

Die Idee der „Art in Heaven“-Veranstalter gerät damit gänzlich in den Verdacht eines Plagiats. Nicht nur das geplante Spalier von Lichtsäulen durch den nächtlichen Tiergarten wurde bei der Begrüßung Hitlers vorweggenommen. Auch das Herzstück des Millennium-Vorhabens, die Überwölbung der Siegessäule mit Lichtstrahlen, hat seinen geistigen Ursprung im Jahre 1938. Die Tagespresse berichtet über den Moment, als Hitler Berliner Boden betrat: „Plötzlich sind die Flakscheinwerfer aufgeflammt. Sie vereinigen ihre riesigen Leuchtbündel zu einem erhabenen weißglutenden Dom über der Siegessäule.“

Dasselbe Monument soll nun zum zweiten Mal im Zentrum einer Lichtinszenierung stehen. 1938 ist von einem „gewaltigen Lichtdom“ die Rede, der dort am „sternenklaren Himmel gebildet“ wurde. 1999 wird hier eine „gewaltige Lichtkathedrale“ angekündigt, die sich „am Himmel aufbauen“ wird. Die Worte ähneln sich erstaunlich, und auch die Computersimulation scheint ihre Abstammung aus dem Motivrepertoire Speerscher Ästhetik nicht wirklich verbergen zu wollen. Das Millennium-Event deshalb als faschistisch zu bezeichnen wäre jedoch voreilig. Hakenkreuzfahnen werden diesmal keine an der Siegessäule aufgezogen, und auf dem schwebenden Podest erscheint nicht der „Führer“, sondern Mike Oldfield.

Die Kritiker befinden sich in einem Dilemma. Assoziativ stellt sich bei den Bildern dieses Events die Nähe zur politischen Ästhetik des Nationalsozialismus sofort ein. Im Spektakel selbst ist diese jedoch substanziell nicht nachzuweisen. „Licht ist unpolitisch“, behaupten die Veranstalter und versuchen sich damit gegen jegliche Kritik zu immunisieren.

Dieser unschuldigen Selbstinszenierung muss aber entschieden widersprochen werden. Die offizielle – und von den politisch Verantwortlichen sicherlich erwünschte – Behauptung, dass die Assoziationen zu Speers Lichtdomen nicht beabsichtigt seien, ist schlichtweg unglaubwürdig. Bewusst werden charakteristische Elemente der Speerschen Gestaltung wie zum Beispiel die strikte Reihung von vertikalen Lichtakzenten übernommen und in ihrer rigiden Wirkung noch gesteigert.

Die Gestalter des Milliennium-Events versuchen ein ästhetisches Mittel wieder im öffentlichen Raum zu etablieren, das in Deutschland lange Zeit diskreditiert schien. Sie provozieren bewusst, und der Skandal scheint – zumindest seitens des Regisseurs – einkalkuliert. Dafür steht schon die Person Gerd Hof, die, wie auf den Internetseiten angepriesen, „kein Tabu unangetastet“ lässt.

Die Strategie, durch NS-Zitate zu provozieren, ist in der bildenden Kunst und der Architektur seit den Achtzigerjahren geläufig. Hof selbst hat diese Methode in Theaterstücken und für Konzerte der Gruppe Rammstein erfolgreich genutzt. Aus dem mit der „verbotenen“ Ästhetik verbundenen Kitzel ließ sich finanzieller Gewinn schlagen. Mit der geplanten Lichtinszenierung zu Silvester würde diese Form von NS-Rezeption einen erneuten Höhepunkt erreichen. Erstmals wäre nun auch in monumentaler Weise der öffentliche Raum davon tangiert.

Was offiziell als „unpolitisch“ bezeichnet wird, entlarvt sich damit als eminent politisch. Zum Jahrtausendwechsel soll das Publikum endlich wieder in den Genuss einer Kunstform kommen, die seit Speers Zeiten nicht mehr opportun war. Im Gegenzug werden die Kritiker der pauschalen Verdammung einer künstlerischen Form geziehen und als altmodische Moralisten hingestellt. Es sieht fast so aus, als werde mit dieser Lichtinszenierung eine Art befreiender Akt begangen. Das geplante Kunstwerk erweist sich damit als optisches Argument in der immer wieder neu geführten Schlussstrich- und Normalisierungsdebatte.

Wie „unpolitisch“ das Projekt wirklich ist, zeigt auch die Terminwahl der Pressekonferenz, auf der erstmals die suggestiven Simulationen der „Art in Heaven“-Show zu sehen waren. Die Farbbilder mit der Siegessäule im Zentrum gerieten ausgerechnet am 9. November 1999 auf die Berlin-Seiten der hiesigen Tagespresse. Die intendierte „kosmopolitische Friedensbotschaft“ erweist sich damit einmal mehr als hochgradig national gefärbt.

Als über Christos Reichstagsverhüllung am 25. Februar 1994 im Bundestag diskutiert wurde, wurde von führenden Politikern befürchtet, die Kunstaktion könne zu einer nachhaltigen Beschädigung der deutschen Demokratie führen. Diese Befürchtungen haben sich nicht bewahrheitet. Das ephemere Kunstwerk wurde zu einem willkommenen Symbol des politischen Neuanfangs.

Mit der Siegessäule soll nun wieder ein nationales Symbol im Zentrum eines temporären Spektakels stehen. Auch diesmal würde man sich eine ebenso intensive Debatte darüber wünschen, welche Bilder hier proziert werden. Dass die zu erwartenden Bilder ebenfalls als „historische“, „nationale“ und damit „politische“ Bilder weltweit wahrgenommen werden, steht zu erwarten. Was für ein Neuanfang diesmal sichtbar werden soll, wage ich nicht zu beurteilen.

Der Autor ist Kunsthistoriker und im Vorstand des alternativen Berufsverbandes „Ulmer Verein“