Das schöne Teufelsspielchen

Hoppen für Viva, Rappen mit Goethe: Deutscher HipHop erobert die letzten noch nicht erschlossenen Zielgruppen. Nach der Plattenfirmen-Devise: Wer sich reimt, wird gefressen. Und wer nicht, der auch  ■   Von Thomas Winkler

Hier läuft gerade die Ochsentour. Der Auftritt in der Computer-Dauerwerbesendung „Giga“ auf NBC gehört ebenso dazu wie der Smalltalk bei „Viva Interaktiv“ oder der Radiotermin beim Berliner Lokalsender, wo die gewagteste Frage noch die nach den Freundinnen ist, die man nicht hat.

Regenundmild sind unterwegs, ihre erste Platte „Im Bann des Plattenspielers“ zu promoten. Nun wollen MC John, Dr. Narkose und Nono der Welt davon künden, dass nicht nur aus Hamburg und Stuttgart und Berlin deutscher HipHop kommt, dass jetzt selbst Idstein bei Wiesbaden am Start ist.

„HipHop in Deutschland ist detoniert“, sagt John, „da ist sauviel gegangen.“ John meint: Die Fantastischen 4 sind eine Institution, im Rödelheimer 3p-Imperium horten sie goldene Schallplatten, und die Absoluten Beginner rotieren auf allen Kanälen. Aber es gibt auch die andere Seite von DeutschHop: Es gibt Seifenopern-Stars wie Olli P., die gerade noch so sprechen können ohne zu stottern, es gibt Basis, die Millionen machen mit einer Musik, von der sie fröhlich zugeben, keine Ahnung zu haben, und letzte Woche steigt eine Retorten-Combo wie 3. Generation mit ihrem Brachial-Rap von Null auf 52 in die deutschen LP-Charts ein.

Gab es vorher Einzelphänomene wie Tic Tac Toe, ist 1999 zweifellos das Jahr, in dem deutscher HipHop sich im Mainstream durchgesetzt hat. Doch die Frage bleibt: Ist das Marktsegment groß genug, um Acts wie Der Wolf, Bürger Lars Dietrich, Spectacoolär zusammen verkraften zu können? Oder anders gefragt: Wieviel schlechten Rap wird sich die Republik noch gefallen lassen, bevor sie gar keine Lust mehr hat auf deutschen Sprechgesang?

John scheint von solchen Bedenken unirritiert. „Sauviel gegangen“ heißt auch: Da ist noch Platz für Regenundmild. Und selbst wenn da kein Platz mehr wäre, dann wird ihn die Plattenfirma schon schaffen. Das allerdings würden die drei aus Idstein niemals so sagen. „Von einer Plattenfirma wird man immer als Produkt gesignt, das sich verkaufen soll“, sagt John. Was heißen soll: Wir wissen Bescheid, wir haben das im Griff. Doch auch ohne böse Absichten wird man leicht Teil des Problems.

Alles egal, wenn die Optik stimmt

Denn: Die großen Plattenfirmen haben Erfolg mit deutschsprachigem HipHop, also wollen sie noch mehr Erfolg. Kein Major, der sich inzwischen nicht seinen DeutschHop-Act leistet. Und Regenundmild gehören, ob sie wollen oder nicht, zu einer zweiten, von der Industrie lancierten Generation, die demnächst die momentan noch aktuelle erste Welle beerben soll. Aber es gibt einen Unterschied: Begeistert vom Erfolg der Absoluten Beginner, verpflichtet die Industrie zunehmend bereits im Untergrund etablierte Bands.

Die Massiven Töne begannen erst auf Viva zu rotieren, als sie bei Eastwest unterschrieben hatten. Auch die Szeneveteranen von Die Firma haben ihren aktuellen Longplayer „Das zweite Kapitel“ an V2, die jüngste Geldmaschine von Virgin-Gründer Richard Branson, verkauft. Der erste Videoclip wurde in einem exotischen Land gedreht und gefiel den Musiksendern ausnehmend gut. Dass die Refrains viel zu monströs geraten sind und die Texte manchmal eher ungelenk daher stolpern, ist offensichtlich egal, so lange die Optik stimmt.

Aber nicht jede Kopie des Erfolgsmodells Absolute Beginner hat den gewünschten Erfolg. So waren Doppelkopf die begehrtesten Talente, die Hamburg im Angebot hatte. Das Wettbieten gewann die EMI. Doch auch ein halbes Jahr nach Erscheinen wartet ihr Debüt „Von Abseits“ noch darauf, richtig abzuheben. Immerhin wussten Doppelkopf, worauf sie sich eingelassen hatten. „Immer noch dasselbe alte Lied, dieselbe Melodie in denselben alten Jeans“, rappt MC Falk, als wolle er beschwören, beweisen, dass noch alles beim Alten ist. Ist es ja auch: Doppelkopf ziehen weiter fröhlich durchs Land, um in Jugendzentren und Kulturcafés die Zielgruppe direkt zu erreichen.

Nun gibt es nicht wenige, die einen Overkill in der „Rapublik“ (Spex) befürchten. Bastian Böttcher gehört nicht dazu. Für den Rapper des Bremer Duos Zentrifugal ist „durch die Vielzahl der Bands ein Facettenreichtum entstanden, der zu einer Weiterentwicklung führt“. Seine eigenen Veröffentlichungen mit DJ Loris Negro, so die zweite, aktuelle LP „Tat oder Wahrheit“, bewegen sich am äußersten Rande dessen, was momentan an Reimkultur hier zu Lande wohl möglich ist.

Dufte auch für Deutschlehrerinnen

Böttchers Wortschwälle experimentieren mit „Wortspiegelungen, Binnenreimen, Chiasmen, Alliterationen“ – und samplen Goethe. Seine Raps klingen zwar oft arg konstruiert, werden aber allgemein als Literatur geschätzt. Regelmäßig macht der 24-jährige Lesungen, Slam-Poetry-Wettbewerbe gewinnt er im Dutzend, aufgetreten ist er im Nuyorican Poets Café, der New Yorker Wiege der Beatnik-Literatur, und im Whitney Museum. Das Goethe-Institut schickt ihn regelmäßig durch ferne Länder. „Da kommen manchmal Damen“, erzählt er, „die meine Deutschlehrerin hätten sein können und mir früher die Fünfen reingedrückt haben, und wollen dann plötzlich meine CD kaufen. Das macht mich dann doch nachdenklich, ob das noch HipHop ist, was ich mache.“

Von FR bis FAZ wird Böttcher zum „Rap-Poet“ erkoren, Focus lobt seine „intelligente Lyrik“, die Bravo findet es „musikalisch top“. Raveline dagegen beschimpft Böttchers Publikum als „frustrierte Germanistikstudenten“. Auf dem Cover von „Tat oder Wahrheit“ posieren Zentrifugal in einer Bibliothek. Trotzdem verorten sie sich als Teil von HipHop in einem durchaus traditionellen Sinne. „HipHop ist eine Kultur des Ausdrucks“, sagt Böttcher, „da gehören auch Graffiti, Breakdance und Rap dazu. All das kommt aus demselben Ursprung, aber muss nicht immer unbedingt miteinander verknüpft werden.“ Böttcher kann sich zugute halten, das Genre im Literaturbetrieb etabliert zu haben.

Ihr Debüt „Poesie-Album“ erschien auf einem Indie-Label, mittlerweile sind Zentrifugal Firmenkollegen von Britney Spears und den Backstreet Boys. Trotzdem ist auch Böttcher nicht einverstanden mit manchem, was momentan veröffentlicht wird, „weil ich denke, die machen was kaputt“. Immerhin glaubt er, „dass darin Chancen liegen: Dadurch, dass viel schlechtes Zeug da ist, ist der Kontrast zu den besseren Sachen umso größer.“ Man selbst, wird impliziert, gehört zu den Guten.

Anders geht es auch Regenundmild nicht. Die bemühen sich sogar offensiv um eine Abgrenzung von ihrem Geldgeber. „Das ist das schöne Teufelsspielchen“, sagt John, „Teil der Industrie zu sein. Aber da musst du dagegen- halten.“

Underground nährt den HipHopper nicht

Dagegenhalten heißt: Liebeslieder will man in der nächsten Zukunft vorerst verweigern. Aber man weiß auch: „Regenundmild sind kein Untergrundthema.“ So finden sich auf der Platte einige soulige Frauenstimmen, die fast schon verzweifelt „Ich will in die Charts“ schreien. Man will, das ist auch klar, nicht länger leben müssen vom Dispokredit, wie Narkose gerne zugibt. Erfolg wäre schon, sagen sie, eine zweite Platte aufnehmen zu dürfen. Das steht zwar so in ihrem Vertrag, aber wer weiß, was morgen ist. Sie wissen immerhin, dass sich in den kommenden Monaten entscheidet, ob sie in ihre Jobs in der Grafik-Agentur oder gar ans Fließband zurückkehren werden müssen.

„Die Platte, die wir gemacht haben“, hofft Narkose, „wird HipHop auf keinen Fall schaden.“ Das mag sein. Tatsächlich aber spricht aus ihr vor allem die Naivität von Jungs Anfang der Zwanzig. Sie sind stolz darauf, dass die Synchronstimme von Luke Skywalker einige Sätze für sie gesprochen hat, und auf den zugehörigen Comic, in dem das Trio in eine ägyptische Pyramide einbricht, um dort Turntables und den Auftrag zur HipHop-Mission zu finden. Das Umsichwerfen mit mystischen Dingen“ nennt Narkose das. „Mit so einer Geschichte beziehen wir Position“, erklärt John, „wir sagen: Wir retten HipHop. Das ist natürlich totaler Quatsch, wir retten nur uns selbst.“

Unwissenheit hat noch nie davor geschützt, instrumentalisiert zu werden. Wenn DeutschHop krank ist – und viele behaupten das –, dann gehören Regenundmild zu den Symptomen. „Es gibt ja kein Patentrezept“, sagt Nono, „Stilsicherheit ist noch nie vom Himmel gefallen.“ Also, verspricht er, werde man „jeden Morgen bei der Plattenfirma anrufen, wenn das nicht so läuft, wie wir uns das vorstellen“.

Während er das sagt, sitzen zwei Vertreter ebenjener Plattenfirma dabei, hören geduldig grinsend zu und zucken nicht mal mit der Wimper.

Zentrifugal: „Tat oder Wahrheit“ (Jive/Zomba) Regenundmild: „Im Bann des Plattenspielers“ (Intercord) Die Firma: „Das Zweite Kapitel“ (La Cosa Mia/V2) Auftritte: Bastian Böttcher – Spoken Word am 14. 12. in der Literaturwerkstatt Berlin Zentrifugal: 13. 12. München, 18. 12. Trier, 19. 12. Bremen, 20. 12. Hamburg Doppelkopf: 25. 12. Husum, 26. 12. Hamburg Die Firma: 13. 12. Marburg, 14. 12. Münster, 15. 12. Bocholt, 16. 12. Monschau