Neuzeitliches Pucki-Epos

■  Der Fünfteiler „Sturmzeit“ sollte ein deutsches „Vom Winde verweht“ werden. Nun ist er ein historischer Formschinken, in dem Empfindungswille als Haltung gilt (20.15 Uhr, ZDF)

In Ostpreußen sind die Stallburschen und Hausmädchen noch mit Freude bei der Arbeit, die Weiden grün, die Kleidchen weiß und die Omas klug. Bilder, die vor Nostalgie schon so dampfen, als müssten sie eine Backmischung für altdeutschen Zupfkuchen empfehlen. „Sturmzeit“, der Weihnachtsfünfteiler des ZDF, soll ein deutsches „Vom Winde verweht“ vorstellen. Ein aufwendiges Epos mit viel Ach und Weh, das aber nur selten aus der Provinzialität seiner Bilder und der hausbackenen Geschichte ausbricht.

Charlotte Link, die in ihren neuzeitlichen Pucki-Romanen („Wilde Lupinen“ u. a.) gerne all jenen Wesen einen Blümchenkranz flicht, die sich nur von einem vagen „weiblichen“ Instinkt leiten lassen, liefert mit ihrem Buch „Sturmzeit“ die Vorlage, die Regisseur Bernd Böhlich als filmische Nachfolge des röhrenden Hirsches in Öl inszeniert. Denn zum Tara taugt das ostpreußische Familiengut Lulinn nicht, und als Scarlett kommt die Protagonistin Felicias zu blass und wenig raffiniert daher.

Zart ist sie und transparent genug (Teil 1 und 2 gespielt von Jeannette Hain), um 100 Jahre Geschichte einfach durch sie durchpfeifen zu lassen, ohne dass dadurch nur ein Quentchen Bewusstsein in die Gänge käme. Der pure Empfindungswille muss hier als Haltung reichen. Nur so viel Grübeln, dass es den kaufmännischen Reflex des Instinktwesens nicht stocken lässt und das schluckaufartige Credo für die Leidenschaft schlechthin nicht unterbricht. Betriebswirtschaft und Passion hat man schließlich in den Genen. Zwar sind Kriegsgewinnler hier ein bisschen pfui, aber an ihnen später eine goldene Koksnase zu verdienen, wie Felicias es im zweiten Teil mit ihrer Textilfirma unternimmt, ist dann doch bauernschlau und – schließlich ist sie ein Mädchen – recht keck.

Der Erste Weltkrieg spült ein paar ungezogene Russen ins Haus und sorgt für ein bisschen Rabatz auf der heimatlichen Pferdekoppel. Denn das, was die gute Felicias am meisten am Weltgeschehen erschüttert, ist das Verschwinden ihres Lieblingsgauls. Zumindest in den ersten beiden Teilen bleibt Felicias deshalb eine anorektische Spielfigur, die aus Jungmädchengehabe und Passionsgründen umso stärker auf Ben Becker (als ihre Jugendliebe Maksim) prallen muss – und damit selbstverständlich auf die gesamte stämmige Physis des Proletariats mit seinem hemdsärmeligen Sexappeal, der unter den Armen ordentlich nach Straße, Kohlsuppe und Revolution müffelt.

Maksim soll Ostpreußen jedoch verlassen, damit er in Berlin bollern und agitieren kann. Die enttäuschte Felicias heiratet sich währenddessen so durch. Erst Alex Lombard (Max Tidorf), eine Verbindung, die ihr schließlich eine Fabrik einbringt, später Benjamin Lavergne (Dominique Horwitz), der allerdings bald an Einsamkeit und ödipalen Verwirrungen eingeht. Von ihren beiden Töchtern liebt sie vor allem die von Maksim, weil sie Felicias „an Rebellion, Russland und ihre Liebe“ erinnert. Monologe aus dem Off, die ein ums andere Mal Politik und Emotion so zueinander zwingen, bis sie sich so nahe sind wie Erbsen und Möhren auf einem Max-und-Moritz-Teller.

Sollte mit Barbara Rudnick und Nadja Tiller als ältere Felicias das Ganze ab dem dritten Teil nicht endlich mehr Konturen bekommen, muss „Sturmzeit“ ein historischer Formschinken bleiben. Ein „großes Frauenschicksal“, das zunächst doch nur von einer verzogen Großbauerngöre plaudert, die feengleich den im Leben oder Krieg stehenden Männern die Sorgen wegküsst, bis sie erkennt, dass Besitz und Erfolg die härtere Währung ist. Wenn man schon nicht den einen kriegt, darf es gerne auch ein Konzern sein.

In den geklöppelten „Sturmzeit“-Phantasien von Link und Böhlich träumt Deutschland mit dem Dauermädchen Felicias den Dornröschenschlaf von der Unschuld. Antisemiten wie Onkel Victor sind hier einfach nur schrecklich dumme Menschen, die zu Recht von den jüdischen Banken beschissen werden und nur zu Faschos mutieren, weil sie auch noch von jüngeren Frauen wie Felicias etwas auf den Deckel kriegen. Wenn sie ihren Onkel per Vertrag zwingt, das Gut zu erhalten und sich selbst Kaufobligationen garantiert, bleibt das im Film der Kapitalismus der Gerechten. Nur zu unabhängig und stolz darf sie nicht werden. Das wird mit Verruchtheit bestraft: Als die Rabenmutter mit den Attitüden einer Kameliendame kokettiert, zur erfolgreichen Unternehmerin aufsteigt, Drogen nimmt und in Bordelle geht, lässt nicht nur Horwitz die Ohren hängen.

Immer wieder ist es die Himmelsmacht der Gefühle, die das Unvereinbare in den Familiensalon holt. Gestapo-Ärzte oder Kommunisten: Wer liebt, darf alles küssen. Der kann nichts dafür. Der kann nur den Kopf einziehen, wenn es mal knallt. So bleiben sie denn alle irgendwie gute Menschen im Kreise der Familie Deutschland aus dem „Sturmzeit“-Album. Und wie heißt es doch ebenso unappetitlich wie zwangsversöhnt im Titellied: „Unter der Haut, da sind wir alle gleich.“ Birgit Glombitza

Die weiteren Sendetermine: 15., 17., 19., 20. Dezember