Klangkunst 2000

Das Raster-Noton-Label stellt sein elektronisches Konzept als Sound zum Millennium in der Volksbühne vor ■ Von Andreas Hartmann

Mitte der Neunziger war der Rave plötzlich vorbei. Techno begann die Konnotation „Partymusik“ abzustreifen und fand seinen Weg aus den Clubs zielsicher in die Wohnlounge der Liebhaber von Maschinenmusik. Überhaupt: Techno hieß jetzt elektronische Musik und man sprach von „electronic listening“. Und bald fand sich nicht mehr bloß der DJ bei Vernissagen hipper Künstler ein, sondern immer mehr Spielarten elektronischer Musik erklärten sich gleich selbst zu Kunst.

Vor allem in Deutschland wurde sich konsequent an die Selbstverkunstung gemacht. Minimal Art, serielle Kunst und Grafikdesign fanden in bisher ungekannt stringenter Form Einzug in die Konzepte und Musik von Kölner Produzenten wie Wolfgang Voigt oder Thomas Brinkmann, genauso wie in die geheimbündlerischen Aktivitäten im Kreis des Berliner Labels Basic Channel.

Bis vor kurzem noch sträflich vernachlässigt, nicht nur vom öffentlichen Interesse, sondern auch von den Freunden minimaler Tonbauten, beackert das Chemnitzer Label Raster-Noton die Schnittstelle Kunst und elektronische Musik. Schon seit Jahren wird hier an einer strengen Corporate Identity herumgedoktert, die sich aus seriellem und Minimal-Design, international ausgerichteter Veröffentlichungsstrategie und grenzenlos abstrakter Elektronik zusammensetzt. Erst mit der Anfang dieses Jahres gestarteten Serie „20 to 2000“ hat der Laden die Aufmerksamkeit auf sich gezogen, die er schon längst verdient hätte. Das Aufsehen erregende Projekt, das den Tonträger in kaum vergleichbarem Maße zum Gesamtkunstwerk erklärte, zog solche medialen Bahnen, dass sich das Museum of Modern Art in New York vor kurzem entschloss, die komplette Reihe, als ersten digitalen Tonträger überhaupt, in seine Sammlung aufzunehmen.

Der Grundgedanke von „20 to 2000“ bestand darin, verschiedene Elektroniktüftler zu beauftragen, sich Gedanken über die letzten Minuten vor dem Wechsel in das nächste Jahrtausend zu machen. Diese klanglichen Überlegungen durften nicht länger als 20 Minuten dauern, wurden auf Mini-CDs gepresst und in extra gestaltete durchsichtige Muschelhüllen verpackt. Jeden Monat wurde eine davon veröffentlicht, um nun endlich, als Höhepunkt und krönender Abschluss der Arbeit, die gesammelten Tonträger als einmaligen Live-Event aller Beteiligten in der Volksbühne zu reproduzieren.

Auftreten werden in der Reihenfolge der monatlichen CD-Veröffentlichungen die von überall her kommenden Projektteilnehmer und die Label-Inhaber Carsten Nicolai, Olaf Bender und Frank Bretschneider selbst, die als Noto, Bytone und Komet jeweils einen Beitrag zur Serie geliefert haben. Das Netz der Ausführenden spannt sich dabei von dem Japaner Ryoji Ikeda über Mika Vainio aus Finnland bis hin zu Scanner aus England. Jeder bekommt strikt 20 Minuten für seinen Set zur Verfügung gestellt, die Veranstaltung dauert möglichst exakt drei Stunden und 40 Minuten.

In dieser Form wird man zwölf der avanciertesten und international renommiertesten Vertreter experimenteller Elektronik-Architektur wohl nicht mehr so schnell zu Gesicht bekommen. Nicht nur wegen des hohen Konzeptkunst-Faktors, der hier aufgefahren wird, ist dieser Event so außergewöhnlich, sondern weil sich ein scheuer Tonkünstler wie Wolfgang Voigt sonst einfach so gut wie nie aus seiner Heimatstadt Köln heraus traut. Da muss einen wie ihn schon das Besondere locken.20 to 2000, pünktlich ab 21 Uhr in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz