Abgestumpfter Hochdruck

Eine Reihe von antisemitischen Straftaten in Berlin konnte bisher nicht aufgeklärt werden. ■ Von Barbara Bollwahn de Paez Casanova

Sie kommen in der Nacht, zerstören Grabsteine auf jüdischen Friedhöfen oder schmieren Hakenkreuze und SS-Runen auf Denkmäler für Opfer des Nationalsozialismus. Die Verwüstungen sind oft die einzigen Spuren, die sie hinterlassen. Obwohl der Berliner Polizeipräsident Hagen Saberschinsky und Innensenator Eckart Werthebach (CDU) stets betonen, dass bei derlei Straftaten „mit Hochdruck“ ermittelt würde, ist die Aufklärungsquote kläglich. So wurden die Täter, die in der Nacht auf den 4. Oktober auf dem jüdischen Friedhof in Weißensee – dem größten in Europa – 103 Grabsteine zerstörten, bisher nicht ermittelt. Auch bei der Schändung eines Denkmals für deportierte Juden und eines Bertolt-Brecht-Denkmals mit Hakenkreuzen und SS-Runen am gleichen Wochenende tappt der Staatsschutz im Dunkeln. Eine Woche später wurden zwei nicht explodierte Brandsätzen auf dem Friedhof gefunden. Die Täter sind unbekannt.

Der Anschlag auf das Lager eines Steinmetzen Mitte November, der zusammen mit einer anderen Steinmetzfirma unentgeltlich Steine auf dem jüdischen Friedhof reparierte, ist bisher ebenfalls nicht aufgeklärt. Nur die Drohanrufe, die der Steinmetz wenige Tage nach Beginn der Reparatur erhielt, wurden Ende vergangener Woche zugeordnet. Zwei Monate brauchten die Ermittler, um die Anrufe per Fangschaltung zurückzuverfolgen. Eine Beteiligung an der Friedhofsschändung und der Zerstörung des Steinlagers jedoch bestreitet der Anrufer, ein 62-jähriger Rentner.

Damit setzt sich eine Reihe von ungeklärten antisemitischen Straftaten fort. Der Brandanschlag auf eine Ausstellung über jüdisches Leben in Berlin Anfang September wurde nicht aufgeklärt. Die Ermittlungen nach den Urhebern des Sprengstoffanschlags auf das Grab des früheren Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, im Dezember 1998, wurden im Sommer eingestellt. Ungestraft blieben auch diejenigen, die im Oktober 1998 ein Ferkel mit einem aufgemalten Davidstern und dem Namen des damaligen Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, über den Alexanderplatz trieben.

Zwar stellte Innensenator Werthebach einen Zuwachs von Rechtsextremisten in Berlin von 1.200 im Jahre 1990 auf 2.700 im vergangenen Jahr fest. Nach den Verwüstungen auf dem jüdischen Friedhof sprach er dennoch von einem „Akt des blindwütigen Vandalismus“. Auch Polizeipräsident Saberschinsky will Vandalismus als Motiv nicht ausschließen, solange keine Hinweise auf eine politische Tat vorlägen.

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Andreas Nachama, kritisierte, dass die Grabschändungen politisch „runtergekocht“ werden. Vor einer Woche veröffentlichte der Tagesspiegel einen offenen Brief des Autors und Journalisten Henryk M. Broder an den Polizeipräsidenten. Er wirft der Polizei vor, „offensichtlich nicht Willens oder nicht in der Lage“ zu sein, „relevante Verstöße gegen das Gesetz und die Gebote der Zivilisation aufzuklären“. Die „Vermutungen“ der Polizei, dass die Anschläge einen rechtsradikalen Hintergrund hätten, kommentiert Broder so: „Es können auch Diabetiker gewesen sein, die wegen Zuckerentzugs Amok gelaufen sind, oder jugendliche Bettnässer, die sich wundgelegen haben und deshalb ausrasten.“

Saberschinsky wies den Vorwurf der Untätigkeit zurück. „Das ist eine Bösartigkeit, die kaum zu überbieten ist“, sagte er in einem Radiointerview. Gerade beim Rechtsextremismus zeichne sich die Polizei aus – „strukturell und personalmäßig“. Dass ein Anschlag wie der auf das Grab von Galinski trotz dreimonatiger Ermittlungen durch 30 Beamte nicht aufgeklärt werden konnte, liege an „hoch professionell agierenden Tätern“.

Julius Schoeps, Leiter des Potsdamer Moses-Mendelssohn-Zentrums, spricht von einem „Abstumpfungseffekt“ infolge der Häufigkeit solcher Anschläge. „Das interessiert die Behörden nicht.“ Seit Jahren fordert er eine elektronische Datenbank zur Speicherung antisemitischer Straftaten. „Die sollte bei einer wissenschaftlichen Einrichtung und möglichst nicht bei der Polizei eingerichtet werden.“