Herr Miconi kriegt zwei Minuten

Albert Hefele

Der Winter ist nicht meine Jahreszeit. Wenn die anderen mit aufgestellten Nasenlöchern den ersten Schnee wittern und sabbernd an ihrem Schisarg polieren, um ihn beim ersten Flockenfall aufs Dach des Allradjeeps zu schnallen, sinkt mir der Blutdruck und meine Bewegungen werden träge. Wenn sie hechelnd dem Gebirge zustreben, allen Staus auf der Autobahn München–Salzburg die ohrenschützerumschlungene Stirne bieten ..., schmiege ich mich melancholisch an meine schweinchenrote Wärmeflasche. Die ich übrigens für eine geniale Erfindung halte und der ich seit Jugendzeiten in Zeiten von Bauchgrimmen und ansteigender Außenkälte anhänge.

■ Der Kern-Italiener hat es nicht so mit dem Rutschen auf Schnee und Eis

Nicht etwa weil ich eine übermäßig karge Kindheit gehabt hätte oder keine Frau kriege oder irgendwas in der Art ... sie ist einfach so tröstlich ... und vor allem warm. Wenn Sie wissen, was ich meine.

Alle psychologischen Assistenten und Sozialtherapeuten werden nun wissend mit dem Schädel pendeln – aber: Ihr seid auf dem Holzweg. Es ist alles ganz anders und viel einfacher. Ich mag den Winter wohl als optisches Phänomen, nicht aber als Umgebung und Freizeitgehege. Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich nie mit den winterlichen Sportarten klar gekommen bin. Obwohl ich ein Allgäuer bin. Gebürtig. Aber mir fehlen die Gene und Schuld ist mein Opa mütterlicherseits. Der war ein Italiener namens Miconi.

Ich weiß, dass auch Italiener in der Lage sind, Wintersport zu betreiben; es handelt sich dann aber meistens um Südtiroler. Der Kern-Italiener hat es nicht so mit dem Rutschen auf Schnee und Eis. Was meinen Miconi-Opa angeht, ist das erwiesen bzw. ziemlich sicher, weil von ihm zwar einige Bilddokumente existieren, auf denen er in geselliger Runde das Weinglas hebt – aber kein einziges, das ihn in einer annähernd winterlichen Umgebung zeigt. Und ich muss es ausbaden. Schlittschuhlaufen? Fehlanzeige. Einmal an der Bande des Eisplatzes entlanggehangelt und dann nie wieder! Schilaufen? In den frühesten Erinnerungen sehe ich mich auf des Schwagers Brettern die Zugbindung knoten. Teils hopste ich damit über winzige Schanzen und kullerte, mich überschlagend, zu Tale. Teils versuchte ich es einem genetisch begünstigten Cousin nachzutun, der auch nicht übermäßig elegant, aber immerhin ohne Bänderriss, per Stemmbogen die Hänge pflügte.

Alles Bemühen war jedoch vergebens. Der Schnee liebt mich nicht und mir fehlen die Gene. Wie auch die Keilhose im Winde knatterte und ich verzweifelt mit den Stöcken ruderte – es ging immer geradeaus und in Schusslinie nach unten. Nicht etwa, weil ich so wagemutig und abenteuergierig war – der Stemmbogen gelang mir halt immer nur ansatzweise und endete regelmäßig in peinlich hölzernem Balanceverlust plus anschließendem bizarrem Abwärtsgetorkele. Nicht einmal der – heute völlig in Vergessenheit geratenen – „Christel“ war ich mächtig. Dabei war sie – die „Christel“ – von entscheidender Bedeutung für das Ansehen auf dem Tölpelhang. Die „Christel“ war eine – vermutlich nach der Uraltschikönigin Cranz benannte – Bremskehre zum Ende der mehr oder weniger erfolgreich absolvierten Talfahrt. Graziöses Ausstemmen und dynamisches Nachziehen des Bergschis: „Und stehen.“

Die „Christel“ war die Königsdisziplin der Unbeholfenen. Wer am Hang nichts Schwungähnliches zu Wege brachte, mühte sich mit aller Macht wenigstens unten im Flachen um einen angeberischen Schlusspunkt im stiebenden Pulverschnee. Ich auch – aber es ging nie! Mein Bremsbelag war der Hosenboden, mein krönender Abschluss der rappelnde Purzelbaum. Ich hab es dann irgendwann aufgegeben und entsprechende Nachfrager mit dem Hinweis auf einen nebulösen „Unfall“, der mir das Schifahren unmöglich mache, abgewimmelt. Seit dieser Zeit verfalle ich in eine Art Igelstarre, wenn der Winter kommt, lege mir die Wärmeflasche auf den Bauch und sehe mir alte Fotos an. Von Opa Miconi, wie er das Weinglas stemmt.