Kein Geld vom Himmel

■ Am Tag der EU-Haushaltsdebatte: Die zuständige deutsche Kommissarin Michaele Schreyer über die umstrittene Budgetdisziplin, die teure Hilfe für das Kosovo und die Beitrittskosten der Türkei

taz: Wie gefällt Ihnen der neue Job zwischen Straßburg, Berlin und Brüssel?

Michaele Schreyer: Sehr gut, auch wenn Berlin nur noch privat von Bedeutung ist. Für die Arbeit in der Kommission steht die Gestaltung Europas im Vordergrund, Parteipolitik und Streit spielen keine Rolle.

Wie empfinden Sie den Arbeitsstil in Ihrem neuen Kollegium? Offen? Oder auch ein bisschen paternalistisch?

Er ist ganz kollegial. Von gegenseitigem großen Respekt bestimmt, eine offene Atmosphäre.

Sie haben sich um den Job in Brüssel beworben mit dem Image der eisernen Sparkommissarin. In der Anhörung war Ihre Antwort auf alle entsprechenden Fragen ganz auf Ratslinie: kein frisches Geld für neue außenpolitische Aufgaben. Wieso haben Sie Ihre Haltung geändert?

Ich habe keine Ratslinie verfolgt, sondern meine eigene Position: Wenn neue Prioritäten in der Außenpolitik da sind, muss man sie durch Umschichtung zu finanzieren versuchen. Man kann nicht davon ausgehen, dass neues Geld vom Himmel fällt. Die Anforderungen der Mitgliedsstaaten an die Haushaltsdisziplin sind sehr hoch, und sie fruchten ja auch – es werden im nächsten Jahr mindestens fünf Mitgliedsstaaten einen Budgetüberschuss haben. Diese Haushaltsdisziplin muss auch für das EU-Budget gelten.

Ist das Beharren des Parlaments auf „frischem Geld“ für das Kosovo ein Zeichen für mehr politische Reife? Oder ein Zeichen für Größenwahn?

Das Parlament hat die Verantwortung für den größten Teil der Ausgaben. Es nimmt diese Verantwortung sehr strikt wahr. Natürlich wird innerhalb des Parlaments darüber gestritten, wie neue Aufgaben bewältigt werden können, ohne die alten Verpflichtungen zu vernachlässigen. Das Parlament macht zu Recht deutlich, dass der Wiederaufbau im Kosovo und die Wiederherstellung politischer Stabilität auf dem Balkan nicht im Haushaltsjahr 2000 zum Abschluss gebracht werden.

Dabei weiß keiner genau, was das Kosovo wirklich kosten wird. Ihre Parteifreundin Heide Rühle hält die Schätzungen für übertrieben und die Möglichkeiten, Mittel sinnvoll auszugeben, für gering – vor allem im ersten Jahr. Für das Kosovo haben wir eine ziemlich genaue Kostenschätzung von Weltbank und Kommission. Wir haben es dort nicht nur mit Kriegsschäden zu tun, sondern auch mit den Schäden, die durch die vorherige politische Situation entstanden sind. Die Studie schätzt ziemlich präzise, wie viel für Minenräumung, für Wiederaufbau der Elektrizitätsversorgung und für Budgethilfe gebraucht wird. Sie macht deutlich, dass viele Aufgaben nicht verschoben werden können. Man kann nicht sagen: Die Elektrizitätsversorgung reparieren wir 2002. Deshalb wird gerade im ersten Jahr eine besonders hohe Summe gebraucht.

Angenommen, Parlament und Rat bleiben hart – wie geht es dann weiter?

Dann würde kein Haushalt festgesetzt. Das will aber keiner, auch das Parlament nicht. Der Rat hat allerdings für einen Kompromiss mehrere Bedingungen gestellt. Wenn es zu keiner Einigung kommt, wäre das wirklich schwierig. Dann müsste die Kommission mit der so genannten Zwölftelregelung zurechtkommen. Die Mittel würden von Monat zu Monat freigegeben. Das bedeutet, dass die Administration nur damit befasst wäre, Verträge für die Aufgaben des jeweils nächsten Monats abzuschließen.

Das wäre für Sie kein angenehmes Wirtschaften. Hatten Sie sich den Einstieg in Brüssel leichter vorgestellt?

Die EU steht vor ganz neuen außenpolitischen Herausforderungen. Insofern war es klar, dass diese Verhandlungen nicht einfach werden würden.

Nun kommen mit der in Helsinki geplanten Erweiterung neue finanzielle Kraftakte auf die Union zu. Bleibt das im Rahmen der finanziellen Vorausschau?

Auf dem Gipfel in Berlin ist der kluge Beschluss gefasst worden, die laufenden Kosten und die Erweiterungsausgaben zu trennen. Außerdem wurden die Vor-Beitrittshilfen für Beitrittskandidaten festgelegt. Der finanzielle Rahmen für diese wichtige politische Aufgabe ist somit abgesteckt.

Und die Türkei?

Die Türkei hat bisher aus verschiedenen Töpfen Unterstützung bekommen. Wenn die Verhandlungen beginnen, sollten diese Zuschüsse so zusammengefasst werden, dass die Mittel speziell für die Annäherung an Kerneuropa eingesetzt werden.

Ist die Union in ihrer jetzigen Form den neuen Aufgaben gewachsen?

Es gilt, diese historische Chance zu nutzen, die für eine weitgehende Integration Europas vorhanden ist. Wir können die Erweiterung aber nur dann bewältigen, wenn die EU-Institutionen intern darauf vorbereitet sind. Es gibt finanzielle und politische Bedingungen. Finanziell wurde auf dem Gipfel in Berlin der Rahmen geschaffen. Die politischen Rahmenbedingen müssen während der nächsten Regierungskonferenz geschaffen werden. Ich gehöre zu denen, die dafür plädieren, das möglichst innerhalb eines Jahres zu bewältigen.

Wird die Kommissionsverwaltung – nach der geplanten Reform – den neuen Aufgaben, z.B. bei den Beitrittsverhandlungen, gewachsen sein?

Die Strukturreform ist völlig unabhängig von den Beitrittsverhandlungen. Die neue Kommission hat sich ein gewaltiges Reformprogramm vorgenommen. Zum Beispiel die Zusammenlegung der Generaldirektionen Transport und Energie oder den Ausbau der Task-Force EU-Erweiterung zu einer eigenen Generaldirektion. Ein großer Teil der Entscheidungen betrifft auch das Finanzmanagement. Das ist für mich eine sehr schöne Sache: Wenn man lange Zeit seine Ideen nur aus der Opposition heraus vorbringen konnte und nun die Möglichkeit hat, Strukturen für ein modernes Finanzmanagement zu schaffen.

Auch wenn diese Umstrukturierung wie in Ihrem Fall bedeutet, zweihundert Mitarbeiter abzugeben?

Macht drückt sich nicht in der Anzahl der Personen aus. Wer so denkt, gehört ins Museum für Verwaltungsgeschichte. Wichtig ist, dass die Personen für ihre jeweilige Aufgabe geeignet sind. Stärkere Dezentralisierung ist das A und O einer modernen Verwaltung, Grundlage für alles Handeln mit der Knete.

Ihr Kommissarskollege Neil Kinnock wollte von Anfang an eine Trennung von Budget und Finanzkontrolle. Sie waren dagegen. Nun hat er sich auf der ganzen Linie durchgesetzt.

Nein, das ist so: Der Reformprozess wird von einer Arbeitsgruppe vorbereitet, in der ich Mitglied bin, weil er mich auch besonders betrifft. Ich habe schon in den schriftlichen Antworten auf die Fragen des Parlaments gesagt, dass ich es für richtig halte, die Finanzkontrolle der jeweils ausgebenen Verwaltung zuzuordnen. Wer das Geld ausgibt, muss auch die Verantwortung dafür übernehmen, dass es an die richtige Stelle gelangt. Interview:

Daniela Weingärtner