Mifegyne ist da, die Wahlfreiheit fehlt

Abtreibungspille oder Operation? Pro Familia fürchtet, manche Kliniken könnten Frauen die Pille aus finanziellen Gründen verweigern – ein operativer Eingriff wird besser honoriert

Berlin (taz) – Nach jahrelangem Streit ist Mifegyne seit zwei Wochen auch in Deutschland zum Schwangerschaftsabbruch zugelassen. Doch nun droht neuer Ärger: Ärzte und Praxen fordern für die Pillen-Abtreibung mehr Geld. Ihr Vorwurf: Für einen operativen Eingriff erhalten sie von den Ländern den doppelten Betrag erstattet, obwohl der Betreuungsaufwand derselbe ist. Doch die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die für die Kostenerstattung zuständig ist, lässt nicht mehr mit sich reden.

Bei dem nach Paragraph 218 zwar rechtswidrigen, aber nach erfolgter Beratung straffreien Abbruch muss die Patientin den Eingriff grundsätzlich aus eigener Tasche bezahlen. In Härtefällen springen jedoch die Kassen ein: Verfügen die Frauen über weniger als 1.700 Mark (in Ostdeutschland 1.500 Mark) im Monat, schießen sie das Geld vor. Die Kassen bekommen ihre Auslagen wiederum von den Ländern erstattet. Rund 75 Prozent der Abtreibungen werden demnach in Deutschland aus Landestöpfen bezahlt.

Unklar war bislang jedoch, wie viel Honorar die Ärzte eigentlich für die Pillen-Abtreibung erhalten sollten. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat nun folgendes Rechenmodell aufgestellt: Für den Abbruch selbst kann der Arzt 70 Mark in Rechnung stellen, für die Ultraschall-Nachuntersuchung zusätzlich 40 Mark – zusammengerechnet 110 Mark. Zu wenig, sagen die Mediziner, ein operativer Eingriff wird mit etwa 300 Mark in Rechnung gestellt. Zwar kommen noch 154 Mark für die Pille hinzu, doch daran verdienen die Ärzte nichts.

Die Frauen erhalten zunächst Mifegyne, zwei Tage später das so genannte Prostaglandin. Es bewirkt, dass sich die abgestorbene Frucht ablöst. Die Frauen müssen daher über mehrere Tage betreut werden. Doch die Ärzte können sich die Betreuung nicht anrechnen lassen – die entsprechenden Ziffern 63 und 64 im Bewertungskatalog gelten nur für ambulante Operationen. Der gleiche Aufwand werde, so der stellvertretende Pro-Familia-Geschäftsführer Joachim von Baross, demnach unterschiedlich vergütet.

Hinzu kommt, dass die Ärzte – anders als bei ambulanten Operationen – keinen Sonderzuschlag für Apparatur und Personal erhalten. Dabei darf Mifegyne nur an Arztpraxen und Kliniken abgegeben werden, die schon bisher Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen haben und also eine entsprechende Ausstattung benötigen.

Selbstzahlerinnen droht dasselbe Problem: Auch bei ihnen dringen die Ärztevertreter auf eine Angleichung der Abrechnungssätze. Selbstzahlerinnen müssen derzeit 600 bis 800 Mark für eine Operation zahlen.

Bleibt es bei der jetzigen Regelung, so die Befürchtung des Pro-Familia-Vertreters Baross, würden Ärzte und Kliniken sich künftig weigern, Mifegyne auch an bedürftige Frauen zu verabreichen. Die Erstattung durch die Länder sei einfach nicht kostendeckend. Wir haben uns zehn Jahre lang dafür eingesetzt, dass die Frauen zwischen Operation und Pille wählen können. Jetzt ist Mifegyne da, aber sie haben trotzdem keine Wahlmöglichkeit.“

Noch in der vergangenen Woche hatte der Kassenärztliche Bundesverband signalisiert, die Kritik der Ärzte zu berücksichtigen. Doch die unterschriftsreife Vorlage sieht nun keine Änderung mehr vor. „Die Verabreichung des Medikaments ist keine solch intensive Leistung wie eine Operation. Ich kann daher keine Benachteiligung sehen“, sagt Andreas Köhler, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.

Die Länder, die das Geld erstatten, haben in der Kostenfrage keinen Handlungsspielraum. Sie müssen sich an die Vorgaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung halten. Das Datum, ab dem die neue Regelung rückwirkend gelten soll, steht jedenfalls schon fest: der 1. November 1999.

Nicole Maschler