Die ehrenwerte Familie schweigt

■ Keine Fragen und Vorwürfe – ganz in der patriarchalischen Tradition ihres Konten-Kohl vermied die CDU gestern jede Diskussion, die ihr den schönen Parteitag verdorben hätte

ber Familienpolitik diskutiert man in der CDU immer gern. Auch öffentlich – solange es um allgemeine Fragen geht. Schließlich glaubt man sich kompetent.

Wird doch die Partei nicht nur als politische Heimat, sondern – zumindest seit Helmut Kohl sie beherrschte – als eine große Familie verstanden. Über deren Strukturen aber lassen sich die ChristdemokratInnen im Licht der Scheinwerfer lieber nicht aus. Erst recht nicht in Zeiten, in denen die CDU sich angesichts des Parteispendenskandals um ihren Ehrenvorsitzenden Kohl täglich mit neuen peinlichen Enthüllungen auseinandersetzen muss.

Knappe 15 Minuten dauerte die Aussprache zur Spendenaffäre der Partei. Dann ging man zur Tagesordnung über. „Wissen Sie, es ist doch so, wenn es Schwierigkeiten gibt in einer Familie, hat man das familienintern zu klären. Und das hier ist eben die CDU-Familie“, erklärt die schleswig-holsteiniche Bundestagsabgeordnete Angelika Volquartz das Phänomen. Nicht öffentlich hofft die stellvertretende Landesvorsitzende aber, „dass Kohl noch vor Weihnachten für mehr Klarheit sorgt“.

So wurde gestern beim kleinen CDU-Parteitag zur Familienpolitik in Berlin viel über Familie geredet, aber sehr wenig über die eigene christdemokratische mit ihrem abwesenden Übervater Helmut Kohl. Statt des mehrfach angekündigten Zwischenberichts wiederholte Parteichef Wolfgang Schäuble den 140 Delegierten in einem kurzen Abschnitt seiner Rede schon hinlänglich Bekanntes über die Spendenaffäre. Er ergänzte lediglich, dass die Verdächtigungen vom Wochenende „absurd“ seien, wonach die CDU im Zusammenhang mit dem Verkauf der ostdeutschen Leuna-Raffinerie Geld von dem französischen Käufer Elf-Aquitaine erhalten habe. Selbst im Bundesvorstand, so war am Rande des Parteitages zu hören, war am Sonntagabend nicht mehr zu erfahren gewesen.

„Wir haben viel aufzuklären, aber nichts zu verbergen“, versicherte Schäuble gebetsmühlenartig, und die Parteispitze habe „auch in Abstimmung mit Helmut Kohl“ alles „zur Aufklärung Erforderliche und Mögliche“ veranlasst. Schäuble versprach, die Prüfung der Parteifinanzen von einer Kölner Wirtschaftsprüferkanzlei erfolge „so schnell wie möglich, aber auch, und das hat Vorrang, so gründlich wie möglich“. Punkt. Die Delegierten waren zufrieden. Keine Fragen. Keine Vorwürfe.

Auch nicht an den Ehrenvorsitenden Kohl. Er hatte es noch nicht einmal für nötig gehalten, zu diesem ersten öffentlichen Parteitag nach Bekanntwerden des Skandals zu kommen.

Doch auch da zeigt sich der CDU-Clan seinem Patriarchen gegegenüber großzügig. Es gilt wohl auch in diesem Zusammenhang der Satz, den Wolfang Schäuble in einem ganz anderen Kontext gesagt hat: „Familie ist die beste Form lebenslanger Solidarität zwischen Jung und Alt.“

Bei der Mini-Aussprache wiederholten sich die Sprachmuster und Begriffsschablonen der vergangenen Wochen: rückhaltlose Aufklärung ohne Ansehen der Person und großer Respekt vor der Leistung von Helmut Kohl. Kraftlos versuchte sich der ehemalige CDU-Generalsekretär und jetzige Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Schleswig-Holstein, Volker Rühe, in einer Wahlkampfrede wider den Spendenskandal. Und Kohls ehemaliger Minister und streitbarer Weggefährte Norbert Blüm betonte, weder Kohl noch seine Leute seien „beteiligt gewesen an einer Politik der Käuflichkeit“. Allein der Verdacht sei schon „unverschämt“.

Der einzige, der es wagte, auch nur einen Hauch von Selbstkritik durchblicken zu lassen, war der Berliner CDU-Politiker Uwe Lehmann-Brauns: „Wir haben 20 Jahre als Begünstigte seines Patriarchats gelebt und damit gut gelebt.“ Was folgte, war dünner Applaus und die abrupte Ankündigung des Berliner Bürgermeisters Eberhard Diepgen: „Dieser Parteitag hat ein Thema, und dem wollen wir uns jetzt widmen.“ Anwesenden Journalisten verschlug es die Sprache, aber die Christdemokraten waren zufrieden: „Wir müssen uns hier kein Schaulaufen liefern, um uns mit der Forderung nach Aufklärung der Affäre zu profilieren“, meinte eine leicht genervte Hildegard Müller, Vorsitzende der Jungen Union. „Schließlich wollen wir ja auch noch Politik machen.“

Und da ging es wieder um Familien. Schäuble hatte dazu gesagt: „Wer Bewährtes erhalten, wer Familie stärken will, der muss neue Wirklichkeiten zur Kenntnis nehmen.“ – Keine guten Aussichten für die CDU. Vielleicht war der Stromausfall am Schluss des Parteitages nur ein Warnung.

Weitere kollektive Black-outs könnten folgen.Karin Nink, Berlin