„Kein Job, in dem man sich sonnt“

■ Paul Spiegel, Kandidat für die Bubis-Nachfolge, will sich verstärkt um die internen Angelegenheiten der Jüdischen Gemeinden kümmern. Und nicht – wie der verstorbene Präsident des Zentralrats – vor allem um die Außenvertretung

taz: In wie vielen Talkshows sollte ein Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland sitzen?

Paul Spiegel: Nicht in jeder. Das gilt jedenfalls für mich.

Ihre Konzertagentur hat Otto und Gitte vermittelt. Können Sie Befürchungen Ihrer Kritiker verstehen, mit Ihnen käme ein Showmensch an die Spitze?

Nein, dafür ist die Sache viel zu ernst. Viele wissen gar nicht, dass das Amt des Zentralratspräsidenten ein unbezahltes Ehrenamt ist. Die Qualifikation für dieses Amt kann nicht eine 24-Stunden-Präsenz und die finanzielle Unabhängigkeit vom Beruf sein. Bei Bubis war es so. Ich bin nicht bereit, meine Familie zu vernachlässigen und meinen Beruf aufzugeben. Ich möchte, dass die anstehenden Aufgaben auf das ganze Präsidium verteilt werden. Der Präsident hat die Gesamtverantwortung, muss aber nicht alles selber machen.

Ihre Mitbewerberin Charlotte Knobloch hat sehr früh ihre Kandidatur bekannt gegeben. Sind Sie weniger beherzt?

Ich musste ja erst mal ins Präsidium gewählt werden, bevor ich kandidiere. Für meine Entscheidung gab es zwei Gründe: der hohe Stimmenanteil für mich und diejenigen, die in das Team gewählt und wiedergewählt wurden. Was Frau Knobloch gemacht hat, ist ihre Sache.

Wo liegt die Differenz zwischen Ihnen und Frau Knobloch?

Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Sie ist seit eineinhalb Jahren die zweite Vizepräsidentin. Wir sind in den wichtigsten Dingen einer Meinung.

Frau Knobloch tritt als energische Person auf. Sind Sie mehr der Mann in Hintergrund, der sich um die Jüdischen Gemeinden kümmert?

Ich kann auch energisch auftreten. Politisch sehen Frau Knobloch und ich als kommende große Aufgabe die Integration der Zuwanderer aus dem Osten in die Jüdischen Gemeinden. Wir sind zur Zeit in Deutschland die am stärksten wachsende jüdische Gemeinschaft der Welt. Ich sehe das als Wunder an, wenn man weiß, was vor 50 Jahren war. Mehr als 80 Prozent unserer Jüdischen Gemeinden haben enorme finanzielle Probleme. Und die Zuwanderer sind zum Großteil Sozialhilfeempfänger, die unterstützt werden müssen.

Darum muss sich das Präsidium jetzt kümmern, nicht nur um die Außenvertretung. Das ist kein Job, in dem man sich sonnt, um eventuell mit Politikern zusammenzukommen.

Das heißt, Sie würden als Präsident das politische Parkett meiden?

Ich gehöre keiner Partei an und werde auch in Zukunft keiner Partei angehören. Wenn allerdings die Demokratie in Gefahr gerät, muss sich der Präsident einmischen, etwa bei dem Problem des Rechtsextremismus, der sich zurzeit in ganz Europa ausbreitet.

Alle sind sich einig, dass der Schatten von Herrn Bubis riesig ist.

Oh, ja.

Wie wollen Sie aus diesem Schatten heraustreten?

Ich kann nur hoffen, dass ich nicht an Herrn Bubis gemessen werden, weil ich dann von vorneherein verloren habe. Er war mein väterlicher Freund und Vorbild. Aber ich werde versuchen, meinen eigenen Stil zu finden.

Und wie sieht dieser Stil denn aus?

Ich habe kein Programm, das ich strikt durchziehe. Es kommt darauf an, was die Gemeinden verlangen und was ich für die Gemeinden tun muss. Vielleicht steht auch mal eine Zeit an, wo ich überhaupt nichts sagen muss. Das ist auch nicht schlecht.

Glaube Sie, das ist in Deutschland möglich?

Neulich war eine Journalistin bei mir und fragte, ob ich eine Erklärung dafür habe, warum die Normalität noch nicht eingetreten ist. In dem Moment ging die Tür auf und meine Sekratärin brachte mir ein Fax mit der Nachricht, dass in Berlin 103 jüdische Grabsteine geschändet wurden. Ich sagte: „Da haben Sie die Antwort.“

Die Normalität ist nicht da. Sie wird auch in den nächsten Generationen nicht erreicht sein. Aber es gibt viele positive Zeichen. Ich würde hier nicht leben, wenn man in Deutschland als Jude nicht leben könnte.

Sie teilen also nicht den Pessimismus von Ignatz Bubis?

Ich habe mit ihm damals über sein Interview gesprochen, in dem er beklagt hat, er habe nichts erreicht. Ich habe ihm gesagt: „Du hast mehr erreicht als jeder jüdische Repräsentant vor dir.“ Die Martin-Walser-Diskussion hat Bubis verbittert. Er fühlte sich von den meisten Politikern, Intellektuellen und Organisationen alleine gelassen.

Fürchten Sie, dass Sie auch einmal so alleine gelassen werden wie Bubis?

Das weiß ich nicht. Ich gehöre zwar zum Volk der Propheten, aber ich bin kein Prophet.

Interview: Isabelle Siemes