Ewige Avantgarde

■ Mit Strenge zur Sinnlichkeit des Kinos gelangen. Die Akademie der Künste zeigt Filme von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet

Irgendwann, wann genau wissen die beiden selbst nicht mehr, verschmolzen Jean-Marie Straub und Danièle Huillet. Zu einer Arbeitsgemeinschaft, Symbiose und Geistesverwandtschaft namens Straub/Huillet, in der einer die Sätze des anderen beendet. Unbeirrbar gehen die beiden seit über dreißig Jahren ihren filmischen Weg, tuckern auf der Suche nach passenden Drehorten mit einem Citroën 2CV und einer Bande Katzen durch Europa und blicken mittlerweile auf neunzehn Filme zurück. Alle diese Filme wurden vehement angefeindet, alle sind inzwischen Bestandteil der Filmgeschichte.

Wer an kurze Einstellungen gewöhnt ist, an schnelle Schnitte, an eine flotte Schauspielersprache, der mag erst mal Probleme haben, in Straub/Huillets filmische Auseinandersetzungen mit Schönberg, Böll oder Kafka hineinzukommen. Eigentlich gibt es nur zwei Reaktionen auf ihre Arbeiten: Entweder man verschließt sich, oder man überlässt sich der Konsequenz und eigentümlichen Sinnlichkeit dieses Kinos. Wer die beiden grantigen Grummler mal bei einer Diskussion erlebt hat (vor allem seine poltrige Art, auf den immer wieder auftauchtenden Vorwurf des Elitismus zu kontern), wird vielleicht nicht unbedingt sinnliche Assoziationen entwickeln. Paradoxerweise ist es aber gerade die Strenge der beiden, die ihre Filme offen und damit sinnlich macht.

Da wäre zum Beispiel der unbedingte Respekt vor der Wirklichkeit des jeweiligen Drehortes. Oder der Respekt vor dem Darsteller, seiner Stimme, seiner eigenen Sprechweise. Mit beidem untrennbar verbunden: das Drehen mit Originalton. Gearbeitet wird immer nur mit den Stimmen, Geräuschen und Klängen, die unmittelbar beim Drehen vorhanden sind. Todsünde ist das Nachsynchronisieren, das Ausbessern oder Bereinigen der Tonspur (Dogma! Dogma!). Mit dem Originalton öffnen sich die Filme von Straub/Huillet für den Zufall, für die Umgebung, für die Gegenwart, für das Rascheln der Kostüme, für Wind und Schatten.

Elftausend Kilometer fuhren Jean-Marie Straub und Danièle Huillet durch Italien, auf der Suche nach einem geeigneten Schauplatz für ihren Opernfilm „Moses und Aron“ („Fallschirmspringer“ nennt Straub höhnisch die Kollegen, die einfach so ohne Vorbereitung zum Drehort kommen). In der brütenden Hitze eines süditalienischen Amphitheaters erarbeiteten sie zusammen mit Sängern, Chor und Technikern Arnold Schönbergs Oper. Oper im Film, das heißt für Straub/Huillet beiden Medien gerecht zu werden – und ihren eigenen Prinzipien. Also dreht man selbstverständlich mit Originalton, ohne Studioeinspielung des Gesangs. Gleichzeitig wird das Libretto in filmische Einstellungen zerlegt.

Bei den Dreharbeiten des biblischen Spektakels „Moses und Aron“ kam das Orchester aus technischen Gründen allerdings noch vom Band. In ihrer letzten Arbeit, die in Deutschland leider nicht ins Kino kam, wurde nicht mehr „geschummelt“. Unter der Leitung des Dirigenten Michael Giehlen drehten Straub/Huillet Arnold Schönbergs Einakter „Von heute auf morgen“ diesmal gleichzeitig mit Sängern und Orchester in einem unglaublich satten, tiefen Schwarzweiß.

Die kurze, weitgehend unbekannte Schönberg-Oper spielt während der Zwanzigerjahre im Wohnzimmer einer bürgerlichen Familie. Der Inhalt, ein klassisches Beziehungsdramolett: Mann und Frau kommen nachts nach einem Fest nach Hause. Er schwärmt für eine attraktive Dame, die ihn bezirzt hat, sie ist beleidigt (das Libretto stammt übrigens von Schönbergs Frau).

„Von heute auf morgen“ – Szenen einer Ehe oder Die Schlacht im bürgerlichen Wohnzimmer. Sie veranstaltet eine private Modenschau, um seine Bewunderung zurückzugewinnen. Und führt dabei letztlich nicht die Kleider vor, sondern ihn, der auf das Chichi hereinfällt. Mit der männlichen Projektion der Femme fatale entlarvt die Oper ganz beiläufig den „modernen“ Hang zum Hipsein, den schnelllebigen Wechsel von einem Reiz zum nächsten. Und überlässt am Schluss einem Kind die entscheidende Frage: „Mama, was ist eigentlich modern?“

Modern im Sinne eine Mode, eines Trends oder einer Welle waren Jean-Marie Straub und Danièle Huillet übrigens nie. Und dass sie manchmal ein bisschen altmodisch wirken, liegt nur daran, dass sie schon so lange Avantgarde sind. Katja Nicodemus

Filme von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet in der Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Berlin Tiergarten, heute Abend, 20 Uhr: „Sicilia!“ (anschließend Foyergespräch mit Danièle Huillet und Jean-Marie Straub, Leitung: Hans-Helmut Prinzler), 22 Uhr: „Die Musik seid ihr, Freunde!“ von Andreas Teuchert über die Arbeit von Straub/Huillet. Eintritt frei.