Parole: Reduzieren! Reduzieren!

Rechtzeitig zur Kaminsaison: Neues aus der Teppichwelt

Es kommt Bewegung in die Teppichhandelsfront. Nach eher ruhigen Jahren mit lieblosen Liquidationsankündigungen und standardisierten Räumungsverkaufsanzeigen lag kürzlich, gerade rechtzeitig zur Kamin- und Kuschelsaison, der Süddeutschen ein farbenfroher Teppichprospekt bei, der Hoffnung macht auf heimelige Wohnbehaglichkeit in diesen, auch menschlich, reichlich kalten Zeiten.

Unter der Überschrift „Geschäftsaufgabe wegen Abriss! Unsere einzige Möglichkeit! Verkaufen um jeden Preis!“ offeriert die Firma Teppichwelt über 6.000 Teppiche auf 4.000 Quadratmetern. Waren in den vergangenen Jahren Krankheit, Siechtum und unumgängliche Operationen der legendären Bärbel Hebert Grund genug für bedauerliche Notverkäufe (die Wahrheit berichtete), so naht im Falle Teppichwelt das Schicksal in Form der Abrissbirne.

Ein wunderbares Panorama edelsten, bis zu 75 Prozent reduzierten Bodenschmucks entfaltet sich da vor unserem genießerischen Teppichkennerauge, und die argumentative Unterfütterung der Räumungsaktion ist in ihren logischen Verschlingungen nur mit dem Ornamentgewimmel eines handgewebten Isfahan oder dem Blütenzauber eines von zarter Kinderhand geknüpften Mesched zu vergleichen: Einerseits, schreibt da Reza Mostashiri, Inhaber der Teppichwelt, „ist dies kein freiwilliger Räumungsverkauf wie Sie es sonst kennen. Zum ersten Mal in unserer 10-jährigen Unternehmensgeschichte sind wir aufgrund des Konkurses unseres Vermieters, wobei der ganze Gebäudekomplex abgerissen wird, zur totalen Räumung der gesamten Lagerbestände gezwungen.“

Doch diese wahrhaft unausweichliche Situation hat andererseits auch etwas Gutes – für den Kunden nämlich:, „denn der Euro kommt – es ist ein Muss, Geld in Sachwerte anzulegen! Zahlen Sie jetzt weniger als wir!“

Wer kann da noch dem argumentativen Zangengriff Mostashiris widerstehen? Gelangweilt legt der Kaufinteressent Räumungsverkaufsangebote mit lächerlichen 50 Prozent Preisnachlass beiseite, würdigt Zwangsversteigerungen unter der Leitung vereidigter und öffentlich bestellter Auktionatoren keines Blickes mehr, denn der Teppichhändler seines Vertrauens heißt Reza Mostashiri. Reza wie der frühere Schah. Und ist nicht auch Mostashiri unumschränkter Herrscher in seinem Teppichreich, absoluter Preis-Souverän in seiner Teppichwelt?

Eine Woche später, es ist nicht zu fassen, legt Schah Reza noch einmal nach. Ein neuerlicher Preishammer trifft den unvorbereiteten Schnäppchenjäger und schickt ihn fast zu Boden. „Jetzt oder Nie! Preise jenseits der Schmerzgrenze. Ihr Gebot zählt! Jetzt fallen alle Rabattschranken.“ Ist eine Steigerung überhaupt noch möglich? Ja, sie ist – bis zu sagenhaften 80 Prozent Preisvorteil gewährt Shiri an den endgültig fünf letzten Tagen und durchbricht damit nicht nur preislich die Schallmauer. Aber er hat auch eine handfeste Warnung „auf Lager“: „Fallen Sie nicht auf Trittbrettfahrer herein! Der einzige legitime und von der Industrie- und Handelskammer autorisierte Räumungsverkauf ist bei der Firma Teppichwelt in Unterföhring! Alle Firmen, die den Anschein eines Räumungsverkaufes erwecken, verhalten sich illegal!“

Mein Gott, wie sich da noch zurechtfinden?

Ich werde morgen sofort nach Unterföhring fahren und mir 100 Meter vor Marktkauf, direkt gegenüber Obi, endlich und völlig legal den 3 mal 4 Meter großen persischen Dorroksch mit dem berühmten Garten-und-Felder-Motiv kaufen, der mir seit Jahren vor meinem inneren Auge „vorschwebt“. Man lebt nur einmal, und nicht nur die Tage der Teppichwelt, auch unsere Tage sind gezählt ... Rüdiger Kind