„Kohl hätte Russland nie gedemütigt“

■ Während des Kosovokrieges reiste Gregor Gysi nach Belgrad, um Milosevic zum Frieden zu überreden – jetzt zieht es ihn nach Moskau und Grosny. Der PDS-Fraktionschef über den Tschetschenien-Krieg und Schröders (Nicht-)Verhältnis zu Russland

taz: Herr Gysi, im April waren sie bei Milošević in Belgrad, um ihn zum Frieden im Kosovo zu bewegen. Haben Sie schon einen Termin bei Jelzin?

Gregor Gysi: Nein, den habe ich noch nicht. Aber ich bereite gerade eine Reise nach Moskau und Tschetschenien vor. Ich möchte mich vor Ort über die Lage informieren, meinen Protest gegen den Krieg als untaugliches Mittel im Kampf gegen Terrorismus erläutern und Fragen nach dem künftigen Zusammenleben stellen.

Ihr Gespräch mit dem jugoslawischen Präsidenten hat damals nichts gebracht. Glauben Sie ernsthaft, Ihr Besuch bei Jelzin könnte irgendetwas bewirken?

Nein, die Politik hat in Russland gar nicht mehr den Einfluss, diesen Krieg so ohne weiteres zu beenden. Die Militärs sind mittlerweile viel zu stark. Man müsste wohl eher mit dem russischen Verteidigungsminister reden.

Umso mehr stellt sich die Frage, was Sie bei Jelzin wollen.

Ich habe nicht gesagt, dass ich mit Jelzin selbst sprechen will. Ich möchte mit Politikern in Moskau und Grosny reden, die Einfluss auf die Zukunft Tschetscheniens haben. Ob ich die Genehmigung erhalte und wer genau meine Gesprächspartner sein könnten, ist noch offen.

Aber Sie sind überzeugt davon, dass Sie in Russland und Tschetschenien vermitteln können?

Ich bin natürlich nicht in der Lage, die Probleme zu lösen. Aber ich möchte wenigstens einen kleinen Beitrag dazu leisten, Gespräche zwischen Russen und Tschetschenen zu ermöglichen sowie das Verhältnis zwischen Russland und dem Westen zu verbessern.

Sie sehen einen Zusammenhang zwischen dem Krieg im Kosovo und dem in Tschetschenien?

Die Tatsache, dass das Militärische in Moskau dominiert, hängt auch mit dem Krieg der Nato gegen Jugoslawien zusammen. Allen voran die USA haben Russland deutlich zu verstehen gegeben, dass sie Moskau als Großmacht nicht mehr ernst nehmen und sein Vetorecht im UN-Sicherheitsrat nicht mehr respektieren. Diese Demütigung führt fast zwangsläufig dazu, dass die Militärs über die Politiker die Oberhand gewinnen.

Der Westen hat eine Mitschuld am Krieg in Tschetschenien?

Russland hat den Kosovokrieg so verstanden, dass als Großmacht nur gilt, wer militärisch wirklich stark ist. Und was ist das Ergebnis davon? Die Politiker in Russland könnten den Krieg in Tschetschenien heute gar nicht mehr gegen den Willen der Militärführung beenden, selbst wenn sie es wollten. Das ist eine unmittelbare Folge des Kosovokrieges.

Gegen diesen Krieg hat die PDS lautstark protestiert. Warum hört man von Ihrer Partei nichts, wenn es um Tschetschenien geht?

Wir haben protestiert, ich habe dem Kanzler geschrieben und bemühe mich schon seit längerem um diese Reise. Aber man kann das Kosovo nicht mit Tschetschenien vergleichen. Wenn Deutsche Grosny bombardieren würden, wie sie Belgrad bombardiert haben, gäbe es in der PDS und im ganzen Land eine ganz andere Protesthaltung.

Das heißt, die PDS engagiert sich nur, wenn Deutschland seine Finger mit im Spiel hat?

Nein. Aber ein Krieg, an dem Deutschland beteiligt ist, bewegt nun mal viel mehr die Gemüter. Während des Kosovokrieges hat die PDS im Bundestag dagegen gekämpft, dass vier Fraktionen einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg beschlossen haben. Diesmal kritisieren alle Fraktionen – wenn auch unterschiedlich – diesen Krieg.

Von einer Antikriegspartei könnte man wenigstens eine anständige Demonstration gegen Jelzin erwarten.

Wir haben ja auch schon eine kleine Demonstration vor der Russischen Botschaft gemacht. Ich räume jedoch ein, dass das Engagement in der PDS zu gering ist.

Finden Sie, dass die Bundesregierung ausreichend Druck auf die russische Führung ausübt?

Nein. Die rot-grüne Regierung ist völlig unschlüssig. Das liegt daran, dass sie über kein Konzept für den Umgang mit Russland verfügt. Natürlich sind Schröder und Fischer gegen den Krieg in Tschetschenien – aber beide sind derart westlich geprägt, dass sie keine Beziehung zu Osteuropa haben. Es tut mir ja schon wieder Leid, sagen zu müssen, dass Kohl ein anderes Verständnis für Russlands Bedeutung in Europa hatte. Er hätte Russland im Kosovo-Konflikt niemals so gedemütigt.

Was würden Sie an Stelle von Schröder tun?

Ich räume ein, dass die Situation jetzt schwierig ist. Russland darf nicht in die Enge getrieben und muss als Großmacht wieder respektiert werden. Aber der wirtschaftliche und politische Druck durch EU und OSZE auf die Führung in Moskau muss erhöht werden. Von der Bundesregierung wünschte ich mir einen Ton und ein Vorgehen, die Russland verdeutlichen: Wenn ihr den Krieg weiter führt, lauft ihr Gefahr, euch von Europa abzukoppeln.

Interview: Jens König