Warme Worte für Affären-Gerd

In Niedersachsen beerbt Sigmar Gabriel (SPD) den zurückgetretenen Ministerpräsidenten Glogowski. Um es sich mit seiner Fraktion nicht zu verscherzen, lässt er erst mal eine Runde Beförderungen springen ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Niedersachsen wird seit gestern vom jüngsten Ministerpräsidenten der Bundesrepublik regiert. Mit 85 Ja-, 67 Nein-Stimmen bei 3 Enthaltungen wählte der niedersächsische Landtag den 40-jährigen Sigmar Gabriel zum Nachfolger von Gerhard Glogowski, der vor knapp drei Wochen über die Affäre mit seinen Feiern und Reisen aus dem Amt gestolpert ist. Damit erhielt der Neue zwei Stimmen aus anderen Fraktionen.

Gabriel, der wie sein Amtsvorgänger aus dem SPD-Bezirk Braunschweig kommt, ist ein politischer Ziehsohn Glogowskis. In seiner ersten Regierungserklärung vor dem Landtag verlangte er „eine angemesse politische Diskussion und Bewertung“ der Sachverhalte, die zum Rücktritt seines Vorgängers geführt haben. Die Tatsachen werde der ehemalige Präsident des niedersächsischen Landesrechnungshofes, Heiner Herbst, im Auftrage der Landesregierung ermitteln.

Für Gerhard Glogowski fand Gabriel vor dem Landtag weitere tröstliche Worte: „Lieber Gerd, der Verlust eines politischen Amtes kann die Lebensleistung von 40 Jahren nicht schmälern oder tilgen.“ Der junge Ministerpräsident, der zeitlebens kein Rebell gewesen ist, machte sich danach ausdrücklich die erste Regierungserklärung seines Vorgängers zu Eigen. In der Bildungs-, Wirtschafts- und Europapolitik kündigte er an, „eigene Akzente zu setzen“.

Auch das Landeskabinett soll unter Gabriel im Wesentlichen das alte bleiben. Der neue Ministerpräsident berief gestern alle Mitglieder des Kabinetts Glogowski wiederum auf ihre bisherigen Posten. Lediglich der ehemalige Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion, Wolfgang Senff, zog zusätzlich als „Staatsminister in der Staatskanzlei“ in das neue Landeskabinett ein. Er soll für Europapolitik, für die Vertretung Niedersachsens im Bundesrat und für Koordinationsaufgaben in der Regierungszentrale zuständig sein.

Bei den übrigen Personalentscheidungen hatte sich Gabriel schon zuvor bemüht, niemandem in seiner Fraktion auf die Füße zu treten, um so alle Stimmen der SPD-Abgeordneten zu sichern. Am Dienstag rückte daher der bisherige stellvertretende Vorsitzende der Landtagsfraktion, der 49-jährige Axel Plaue aus Hannover-Misburg, zum neuen Fraktionschef auf. Der andere Stellvertreter aus Gabriels Zeit als Fraktionsvorsitzender, Dieter Möhrmann, konnte zum parlamentarischen Geschäftsführer avancieren.

Wie sein Vorgänger ist auch Gabriel von Haus aus Innen- und Kommunalpolitker. Er sieht sich selbst als Experte für innere Sicherheit. Selbst in jungen Jahren sei er „nie aufsässig, immer gesprächs- und verhandlungsbereit“ gewesen, sagen noch heute Mitglieder des Goslarer Kreistages, wie der SPD-Kommunalpolitiker Günter Kasties aus Bad Harzburg, der zehn Jahre gemeinsam mit Gabriel in der Kreisvertretung saß. Aufgefallen ist der jüngste Ministerpräsident der Republik allerdings frühzeitig durch seine rhetorischen Qualitäten, durch sein Talent zu freier, oft polemischer Rede. Vor allem der CDU-Fraktionsvorsitzende Christian Wulff hatte unter den Attacken von Gabriel zu leiden, nach dem dieser nach der Landtagswahl im März 1998 zum SPD-Fraktionsvorsitzenden gewählt worden war.

Seine politische Laufbahn begann Gabriel bei den Falken, bei denen er Vorsitzender des Bezirks Braunschweig und Mitglied im Bundesvorstand war. Der SPD gehört der am 12. September 1959 in Goslar geborene Gabriel seit 1977 an, im Landtag sitzt er seit 1990.

Woher die beiden zusätzlichen Stimmen für Gabriel bei der Ministerpräsidentenwahl kamen, bleib gestern offen. Die grüne Fraktionsvorsitzende Rebecca Harms versicherte, dass aus ihren Reihen keine Schützenhilfe gekommen sei. „Solange Gabriel seinem Amtsvorgänger Glogowski bedingungslos die Stange hält, ist er für die Grünen nicht wählbar“, betonte Harms. Die Vorschusslorbeeren, die der neue Ministerpräsident bei der Wahl bekommen habe, seien völlig unverdient. Zunächst müsse Gabriel zeigen, dass er eine andere Poltik als Gerhard Glogowski mache. Davon war in der Regierungserklärung allerdings wenig zu spüren. Zwar kündigte Gabriel „einen Aufbruch bei Bildung und Erziehung“ an. Dieser erschöpft sich allerdings in 1.000 zusätzlichen Lehrerstellen, die bis zum Jahr 2003 in Niedersachsen geschaffen werden sollen. Angesichts der noch schneller steigenden Schülerzahlen ist diese „wirkliche Investition in die Zukunft“ ohnehin unumgänglich.

Schon vor der Wahl hatte der CDU-Fraktionsvorsitzende Christian Wulff von Gabriel energische Maßnahmen gegen den Unterrichtsausfall an den niedersächischen Schulen verlangt. Die Landesregierung, so der Oppositionspolitiker, müsse künftige allen Schülern und deren Eltern eine „Unterrichtsgarantie“ geben.