■ Dreißig Jahre Gesamtlaufzeit und drei Jahre Übergangsfrist für Atomkraftwerke – das ist die Verhandlungsposition der Grünen für die Konsensgespräche der rot-grünen Koalition mit der Atomwirtschaft. Ist das die Aufgabe der grünen Identität – oder einfach nur vernünftig?
: Grüne widerstehen dem Widerstand

Am 29. Dezember des Jahres 2018 ist es vorbei. Dann muss der letzte Atommeiler, Neckar-2, vom Netz sein: 30 Jahre nach seiner Inbetriebnahme – wenn es nach dem Willen der grünen Bundesminister geht. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat offenbar bereits seine Zustimmung signalisiert. Das geht aus einem internen Argumentationspapier Jürgen Trittins vom Freitag für den grünen Koalitionsausschuss hervor, das der taz vorliegt. „Kanzler, Justizministerium und Innenministerium scheinen bereit, 30 Jahre Laufzeit und drei Jahre Übergangsfrist mitzutragen“, heißt es darin.

Auf diese Linie konnten die Minister Jürgen Trittin und Joschka Fischer am Montag den grünen Bundesvorstand und vorgestern Abend auch die grüne Bundestagsfraktion einschwören. Teile der Fraktion und der Großteil der Landesverbände hatten zuvor eine Gesamtlaufzeit von höchstens 25 Jahren gefordert. Mit der sich abzeichnenden rot-grünen Einigung auf die Ausstiegsfrist im Falle eines Scheiterns der Konsensverhandlungen sind die grünen Atomkraftgegner ihren Weg durch die Institutionen bis zum bitteren Ende marschiert.

Viele Jahre war die Forderung nach einen „Sofortausstieg“ tragende Säule des Grünen Programms. 1994 beschloss der grüne Parteitag eine Frist von höchstens zwei Jahren. Vor allem der hessische Landesverband war es dann, der unter der Federführung des damaligen hessischen Umweltstaatssekretärs Rainer Baake an einem juristisch wasserdichten Ausstiegskonzept arbeitete.

Im März 1998 stellte Baake seine Ergebnisse vor: Ausstieg nach 25 Jahren Laufzeit und eine Übergangsfrist von einem Jahr für ältere Meiler. Doch diese Position ging den meisten grünen Politikern nicht weit genug. Das hessische Umweltministerium unter grüner Leitung ließ daraufhin eine kürzere Frist juristisch prüfen. Ergebnis: Neben der Frist von 25 Jahren für die Gesamtlaufzeiten sollte kein Meiler länger als fünf Jahre nach einem Gesetz weiter laufen dürfen. Baake begründete die Rechtmäßigkeit mit der „ungelösten Entsorgungsfrage“ und dem nicht hinnehmbaren Sicherheitsrisiko. Dem Vertrauensschutz zugunsten der Atomindustrie sei damit Genüge getan.

Unter grünen Spitzenpolitikern setzte sich so im Sommer 1998 die Position durch, innerhalb von ein bis zwei Legislaturperioden müsse der Ausstieg geschehen sein. Doch nach dem Fünf-Mark-Debakel beim Benzinpreis waren die Grünen vorsichtig geworden: Im Wahlprogramm tauchte keine Frist mehr auf – gefordert wurde der „schnellstmögliche Ausstieg“.

Auch in der Koalitionsvereinbarung fehlte jede Frist. Der frisch gekürte Umweltminister Jürgen Trittin wollte sich im Oktober 1998 ebenfalls nicht festlegen, brachte aber noch einmal das Baake-Papier ins Gespräch, bezog sich dabei aber nur noch auf die 25 Jahre Gesamtlaufzeit. Mit dieser Position ging das Umweltministerium in die Verhandlungen.

Freilich hatten die Grünen darauf gesetzt, den Atomkraft-Betreibern ein wenig die Daumenscharauben anziehen zu können: Verzehnfachung der Haftungssumme bei einem Atomunfall, strengere Sicherheitsprüfungen und ein Ende der Wiederaufarbeitung. All das war im Koalitionsvertrag ausgemacht, doch der Bundeskanzler bremste seinen Umweltminister aus. Nach langen Ringen mit der SPD musste sich Trittin nun auch von den 25 Jahren Gesamtlaufzeit trennen. Auch ein neues Rechtsgutachten, das 25 Jahre für vertretbar hielt, konnte das Blatt nicht wenden. Die beiden für die verfassungrechtliche Prüfung zuständigen Ressorts, Justiz- und Innenministerium (BMJ und BMI), hielten allein 30 Jahre Ausstiegsfrist für rechtlich vertretbar – das Wirtschaftsministerium hatte ohnehin 40 Jahre gefordert.

Vor allem aber hatten BMJ und BMI eine Übergangsfrist von drei Jahren gefordert, falls die AKWs bereits bei Inkrafttreten des Gesetzes älter als 30 Jahre sind. Das hieße, in dieser Legislaturperiode käme ohnehin kein einziges AKW vom Netz. Damit ist es nach Trittins Sicht ohnehin politisch kaum noch ausschlaggebend, ob die gesetzliche Gesamtlaufzeit 28 oder 30 Jahre lautet. Kürzere Fristen als von Justiz- und Innenministerium empfohlen würden am Ende kaum geheim bleiben, und die Chancen der AKW-Betreiber stärken, per Eilantrag beim Verfassungsgericht das Gesetz zu kippen. „Die Folge“, warnt Trittin, wäre „eine schlimme Niederlage möglicherweise kurz vor der Bundestagswahl mit der Folge, dass kein AKW in dieser Legislaturperiode vom Netz geht.“ Politisch klüger sei es dagegen, mit einem „belastbaren Konfliktszenario“, sprich einem wasserdichten Ausstiegsgesetz als Drohung, in die Verhandlungen zu gehen und so einen Konsens zu erzielen, bei dem durch flexible Handhabung der Laufzeiten noch vor der Wahl ein, zwei Meiler vom Netz gehen.

Matthias Urbach, Berlin