Revival am Jüngsten Tag

■ Vom Mangel des Inszenatorischen: Klaus Brieglebs Textcollage „Mephistos ,Faust'“ in der Schauspielhaus-Kantine

Die Geschichte ist in etwa diese: Am Jüngsten Tag steht Mephisto mit Faust im Tale Joschafat. Der Fall scheint klar: Der Doktor gehörte rechtmäßig in die Hölle, wenn es sie denn gäbe. Mephisto hat sich derweil etwas viel Teuflischeres ausgedacht: Faust muss sein mehr als fragwürdiges Heldenleben noch einmal durchmachen. Dazu bekommt er die „Droge Erinnerung“ verabreicht. Mephisto meint, die Zügel in der Hand zu haben, wenn er noch einmal Fausts Begehren entflammt für Gretchen und Helena, wenn die beiden einen Osterspaziergang unternehmen und ins antike Griechenland reisen und ins Hochgebirge, wenn sie in Schöpfungsfantasien schwelgen und wenn Faust aufs Neue den Homunculus zur Welt bringt. Aber all das weckt in Mephisto nur stetig wachsende Sympathie für Faust, und er wandelt sich zu dem empfindenden Menschen, der ursprünglich in ihm steckt.

Ein prächtiger Theaterstoff, keine Frage, der auch mächtige (Traum-)Bilder in sich birgt. Mephistos „Faust“ hat der Hamburger Literaturwissenschaftler Klaus Briegleb sein Stück genannt, das eine Textcollage aus beiden Teilen der Goetheschen Tragödie ist, aus Bibelstellen und Zitaten aus Dantes Göttlicher Komödie („durchschütteln“ und „zuwinken“ nennt er das auch); ein Schlagzeug und ein Cello sollen die Montage für zwei Schauspieler illustrieren, pointieren und führen. Aber wie grau ist diese Theorie, wie beschränkt sind die bühnenräumlichen und -technischen Mittel in der Auerbachkeller-mäßigen Kantine des Schauspielhauses und wie wenig Farbe können Stephan Bissmeier (Mephisto) und Max Hopp (Faust) an diesem Abend auftragen. Sie sitzen nebeneinander auf Stühlen vor ihren Manuskripten und lesen sich einen Wolf, die Interaktion ist dürftig; Bissmeier hat den stärkeren Part, vom nöligen Zyniker mutiert er zu einem, der wie im Wahn zum Erkennenden reift; Hopp dagegen bleibt in seinem Eifern seltsam blass. Dazu und dazwischen mühen sich Daniel Briegleb (Schlagzeug, Sythesizer) und Susanne Hahn (Violoncello, Flöte), dem textuellen Spektakel wenigsten einen angemessenen Klangraum zu verleihen.

Nun kann man natürlich sagen: Lasst doch einen Germanistikprofessor bei seinem Stück nicht auch noch Regie führen! (Die Dramaturgin Stefanie Carp, die beratend tätig war, hätte das vielleicht wirklich sagen sollen.) So ist es halt eine musikalisch untermalte Lesung, wogegen ja erst mal nichts einzuwenden ist – wenn es nicht gleichzeitig eine Lesung wäre, bei der die Abwesenheit des Inszenatorischen als Mangel schmerzhaft spürbar ist. Vermutlich wäre es noch besser gewesen, wenn der Autor ein paar Erläuterungen eingestreut hätte, denn so wird in den über 100 Minuten selten transparent, wo was warum gerade passiert oder gesprochen wird. Die vor allem ja literaturwissenschaftliche Intention erschließt sich erst bei der Lektüre von Klaus Brieglebs hoch interessantem Essay, der im Programmbuch dem Stück hintangestellt ist. Brieglebs darin geäußerte Vermutung aber, mit Mephistos „Faust“ prinzipiell etwas geschaffen zu haben, das die „Kluft zwischen Philologie und Theater schließen könnte“ oder gar zu einem „wechselanregenden Wettstreit von Regietheater und textinternen Collagefreiheiten“ führt, klingt doch irgendwie sehr nach faustischem Größenwahn. Ralf Poerschke

20. und 21. Dezember, 9. Januar, 21 Uhr, Schauspielhaus-Kantine