■ UrDrüs wahre Kolumne
: Haake, Beck und Kirschgeist

Es ist Morgen in einer fremden Stadt. Du gehst zum Kiosk gegenüber, wo neben Zeitungen und Getränken auch belegte Brötchen verkauft werden. An einem runden Stehtisch drei mittelalterliche Frauen mit teils rosa, teils lila, teils blond getönten Dauerwellen. Teils in Trainingsanzug der marke Sopora Sonderposten, teils auf hochhackigen Silberpantoffeln mit rosa Puschel obendrauf. Und Du lässt Dir ein Eibrötchen reichen und die Damen lachen wie Du selber allenfalls bei Dick & Doof oder beim Anblick von beispielsweise Hartmut Perschau im Tanga-String. Du merkst, dass diese Heiterkeit Dir gilt und nachdem Du Dich überzeugt hast, dass nichts aus dem Hosenlatz hängt, fragst Du mit mühsamer Souveränität nach dem Grund der Freude, damit Du mitlachen könntest und prustend erläutert die eine: „Weeste, Junger Mann, wir ham mit Elfi jewettet, dasse dem zehnten Kerl anne Eier fasst, der hier heute Morjen rinkommt. Aba kannst Dir beruhijen, du bist erst der achte!“ Ziemlich verwirrt verlasse ich den Laden und die um drei Plastikbecher Kaffee gescharten Damen. Kaffee, der obendrein durch ordentliche Beigabe von Mariacron, Springer Urvater oder ähnlichen Blindmachern aromatisiert wurde. Wer die Welt schon morgens um sieben so in seinen Schraubgriff nimmt, wie sollte der aufzuhalten sein. Und das Ganze natürlich in Berlin, Kreuzberg, Oberntrautstraße, kurz vorm 4. Advent 1999.

Den Space-Park-Zocker Köllmann aus der Stadt treiben will das schöne Mädchen von Seite 1. Und natürlich biete ich der Helga Trüpel dabei gern meine Hilfe als rutenschwingender Knecht Ruprecht an: Hoffentlich ist mein Vertrauen gerechtfertigter als einst im Golfkrieg. Damals, als ich der Aufforderung von Bürgermeister Wedemeier folgte, die Händler des Todes aus unserer Stadt zu treiben und für ein bisschen Steinewerferei beim Waffenexporteur vor das Gericht zitiert wurde, während der Anstifter und Agitator sich vornehm im Hintergrund hielt und ungestraft davonkam.

An mir liegt es nicht, wenn das Bier von Haake immer mehr hinter Beck's zurückfällt, umsatzmäßig jedenfalls. Ist es aber nicht vielmehr so, dass die Brauereistrategen von links der Weser sich immer nur zu ihrer eleganten Tochter Becky bekennen, während Haaki bei Festlichkeiten und sogenannten Events nur von der Stiefkinderbank zuschauen darf? Und das symphatische Hemelinger Spezial ist ja offenbar nur noch als Bückware zu bekommen – die Liebe des Trinkers aber gilt auch der Breite und Vielfalt des Angebots! Apropos ... das bezaubernde Foto, das die genialische Lichtbildnerin Katja Heddinga am Dienstag dieser Woche vom neuen Ehrenbürger Hans Koschnick in diesem Blatt veröffentlichen konnte, wäre für mich die wunderbarste werbliche Einladung auf ein Glas Kirschgeist, die man sich vorstellen könnte: Das Haus Schladerer sollte sofort mit Katja und Hans über die Rechte an diesem poetisch-zauberhaften Motiv verhandeln, mit ein paar Prozenten Aufschlag für den Wiederaufbau in Mostar.

Toll, dass es noch verantwortungsbewusste Menschen in der Bremer Universitätsverwaltung gibt, die wenigstens die Schüler durch entsprechende Zugangsbeschränkungen davon abhalten wollen, stunden- oder tagelang online zu sein und im weltweiten Spinnwebnetz zu surfen. Die Kids sollen gefälligst ihrem pubertären Geschlechtstrieb frönen, erste Bekanntschaft mit Haschisch und geistigen Getränken pflegen. Sie mögen militante Jugendbewegungen gründen, fiese Lehrer mit schlimmen Namenslisten erschrecken und die süßen kleinen Affen aus dem Folterstudio des Dr. Kreiterstein befreien. Sie sollen die Notbremsen von Rolltreppen betätigen, dürfen gern ihren Liebsten ein Marzipanbrot schenken oder ihr ein paar Pulswärmer stricken. Nicht aber sollen sie Diddl-Bilder kaufen, am Computer rummachen oder ihre Eltern wegen Reebock-Laufschuhen nerven. Wir haben verstanden?!

Allen lieben Menschen, die mir wegen der bevorstehenden Herzoperation Wünsche und Ermutigungen übermittelten oder gar zum exakten Zeitraum ihre Schutzengel mobilisieren wollten, sei vorläufige Entwarnung gegeben. Der Zeitpunkt wurde aus medizinischen Gründen um einige Monate verschoben. Trotzdem dankt herzlichst

Ulrich „Trotzalledem“

Reineking,

z. Zt. Berlin