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Großer Ariengesang bis zum Tränenfluss

■ Cecilia Bartoli sang in der Glocke Vivaldi und sorgte für eine unvergessliche Sternstunde

Cecilia Bartoli ist ein Star. Aber alle Gefahren, in die ein Star in unserem Musikbetrieb reintappen kann, scheint die römische Sängerin bislang umgehen zu können. Dazu zählt in erster Linie ein allzu publikumswirksames Repertoire. Cecilia Bartoli brachte jetzt in der ausverkauften Glocke ein zwar publikumswirksames Repertoire, aber welches!

Die Sängerin hat sich mit den Opernmanuskripten Antonio Vivaldis befasst, die seit 1926 in der Nationalbibliothek Turin liegen. Sie zeugen von der atemberaubenden Gesangskultur des Bel Canto, die am Anfang des 18. Jahrhunderts in Venedig, wo zehn Opernhäuser gleichzeitig spielten, wohl selbstverständlich war. Begleitet wurde sie vom Barockorchester „Il Giardino armonico“, das unter der Leitung von Giovanni Antonini eine solche Fülle von Klangfarben kreierte, dass das allein schon den Abend (fast) wert war: Hier müssen vor allem die ebenso kraftvollen wie sensiblen Interpetationen der beiden Solokonzerte für Flautino und Laute genannt werden.

Sicher sind die Opern Vivaldis für die Bühne heute nur noch bedingt aufführbar. Zu schematisch sind die dramaturgischen Entwürfe und die musikalische Anlage der opera-seria-Arien mit ihren sich wiederholenden Affekten. Aber wenn jemand wie Cecila Bartoli in der Lage ist, aus nur einer Arie eine an die Grenzen gehende existentielle Szene zu gestalten, die ihr selbst die Tränen in die Augen und die ZuhörerInnen danach von den Sitzen hochtreibt, dann..., ja dann war das eine Sternstunde, wie sie auch bei den Größten nur selten vorkommt. Ich spreche von der Arie „Gelido in oi vena“ (Eis in jeder Ader) des Farnace, das dieser am Grab seines Sohnes singt. Die Assoziation von Eis schon in den erstarrten vibratolosen Orchesterstimmen (der „Winter“ aus den Jahreszeiten ist die Vorlage), fatalistischer Stillstand, Ausdruck pur als namenlose Einsamkeit, dann auch und besonders in der Stimme: ohne Vibrato, mit einem auf langem Atem getragenen Piano, das bis in die letzte Reihe klang und wirklich wie eine Kerze ausgehaucht wurde, Klangfärbung für eine Nuance des großen Schmerzes, den Bartoli nicht melodramatisch aufsetzt, sondern vollkommen von innen herausholt. Interessant in diesem Kontext ist das Phänomen, das sie oft sich selbst nachzuhören scheint, wie auch im wunderbaren Zwiegespräch mit den Ferngeigen in der Arie „Zefiretti che surrusate“ (den flüsternden Winden).

Dieser im wahrsten Sinne des Wortes unerhörten Existenzialität entsprachen die sprudelnden Koloraturen, gleich, ob sie Metaphern für Schiffe im Meer, Furien, Gewitter oder heiligen Zorn und Rache sind. Wunderbar fand ich, dass Bartoli alles dies – perfekt sowieso – mit einem souveränen Hauch von Spaß an der eigenen Stimme singt, einem Hauch von Ironie auch über die nun wirklich ästhetisch etwas veralteten Musikstücke.

So lange eine Cecilia Bartoli, die ohne Ende an ihrer Stimme zu arbeiten scheint, die keine Kompromisse macht hinsichtlich der korrekten historischen Aufführungspraxis, die mit Dirigenten wie Nikolaus Harnoncourt und William Christie zusammenarbeitet, die lange gewartet hat, bis sie sich an Mozart herantraute, die in Bibliotheken nach Manuskripten wühlt, so lange eine solche Frau in diesem Musikbetrieb ein Star werden kann, so lange ist der Musikbetrieb nicht so korrput und kunsttötend, wie es sonst allzu häufig den Eindruck macht. Minutenlanger Beifall im Stehen dankte ihr für einen nichts weniger als sensationellen Abend in einem Saal, den Bartoli für einen der akustisch besten der Welt hält. Ute Schalz-Laurenze

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