Village Voice
: Sounds von der Freibank

Trotz Ende der Wohnzimmerkultur ist die schöne Musik noch nicht versiegt: Ein Weihnachtssampler von Joe Tabu + Kollegen

Vor gut drei Jahren gab es in Berliner Wohnzimmern mal eine Konzertreihe mit dem Namen „Hausfrau im Schacht“. Dort traten Bands auf, die keine Lust auf leere Konzertsäle und teure Studios hatten und am liebsten zu Hause mit den Freunden musizierten. Und dort kamen Menschen hin, die Rockmusik und Clubsounds nicht mehr über den Weg trauten und denen die Grenzen zwischen privaten und öffentlichen Räumen egal waren. Später wurde aus der „Hausfrau im Schacht“-Reihe die world famous Berliner Wohnzimmer-Szene. Die stand bald Pate für fast jede Veröffentlichung von Berliner Bands. Das Wohnzimmer wurde zum Synonym für alle möglichen Sounds, mit all den guten und schlechten Konnotationen wie heimelig, süß, schnuckelig, kitschig, piefig.

Inzwischen mag zwar niemand mehr was von Wohnzimmern wissen – ob das nun die Quarks sind, die ständig betonen, ihr „inneres Wohnzimmer“ geflohen zu haben, oder Mina, die bevorzugt in Italien Rockvenues füllt. Doch ab und an kommen alle wieder gerne zusammen an den Ofen und erinnern sich an früher. Und dann glauben sie einmal mehr, dass es zusammen am schönsten ist und es sich in schlechten Zeiten (aber auch in guten!) zusammen am besten aushalten lässt.

Also hat sich Joe Tabu, seinerzeit Mitinitiator der „Hausfrau im Schacht“-Reihe und Compilator des 98er-Albums „Musik fürs Wohnzimmer - 21 Klangbeispiele in Zimmerlautstärke“, an die Arbeit gemacht und seine Kollegen vom Underground gefragt, „was für sie eigentlich Weihnachten bedeutet“. Deren Antwort war: „Kitsch, Schmalz, Süßlichkeit und ein paar besinnliche Rhythmen.“ Das Ergebnis ist die Compilation „Santa Monica - 24 Winter- und Weihnachtslieder in Zimmerlautstärke“. So richtig kitschig allerdings ist bei diesem Album nur die Covergestaltung. Dort hat Maria den Kopf eines Lämmchens und das Lämmchen den von Monika, dem Label, oder Gudrun Gut, der Labelbetreiberin (oder von Jovanka, Barbara oder Evelyn, mit Sicherheit aber nicht den von Monica Levinsky wie neulich), und beide befinden sich in einer lieblichen, in mattbraunen, grünen und rosa Farben gezeichneten Landschaft. Dazu gibt’s im Innersleeve eine weitgehend ironiefreie Weihnachtsgeschichte.

Der Rest aber, die Musik also, ist schmalzig, süß und besinnlich, wie man das von der einstigen Wohnzimmerszene gewohnt ist. Sounds von der Freibank, um die Ecke gespielt und übers Knie gebrochen von Barbara Morgenstern bis Hausmeister, von Thomas Fehlmann bis Contriva. Die einen sind leise, die anderen komisch, einige melodiös, andere ganz arg neben der Spur. Manchmal liegen die Sounds und Witzchen auch einige Ideen über dem Strich: Da ist es dann wirklich genug, da sehnt man tatsächlich die Bescherung und den Heiligen Abend herbei. Wie im richtigen Leben also. Doch Trends hin, Weihnachts- und Winterschlussverkäufe her: „Santa Monika“ erinnert mit ihren Tausend-Flocken-und-Farben-Songs auch daran, wie bunt es im Lo-Fi-Land in Berlin und anderswo zugeht (aus Detmold kommen Buschmusik, aus Hamburg Felix Kubin, aus den Staaten Daniel Johnston).

Insofern hat es ein bisschen was von einer Leistungsschau ohne Leistungsdruck: Alles ist egal, aber schön und wichtig, die Galerie berlintokyo, Fucky, Flittchen und andere lassen mit ihren Samplern grüßen. Und so weist das Album darauf hin, dass trotz des Brandes in Wohnzimmer (um in einem Bild aus den Linernotes von Joe Tabu zu bleiben) der Quell schöner Musik in kleinem Rahmen und auf kleinen, unabhängigen und miteinander konkurrierenden Labels nicht so schnell versiegen wird.

Da lässt man sich bisweilen zwar ein wenig viel Zeit (Hey, Jeans Team, jetzt macht mal hinne?!). Doch die Vorfreude auf anstehende Longplayer wie die von Komeit, Contriva oder Joe Tabu ist ja auch was Schönes. Oder, um es einmal leicht abgewandelt mit den Hamburger Sternen zu sagen: Das bisschen Besser ist das Warten eben doch wert. Gerrit Bartels

„Santa Monika – 24 Winter- und Weihnachtslieder in Zimmerlautstärke“ (Monika/Indigo). Record-Release-Party, heute, 22.30 Uhr, Roter Salon, Rosa-Luxemburg-Platz