Planet Kreuzberg tanzt nach Mitte

Die Flittchenbar hat die Hinterhofbands des Berliner Ostens mit den Kreuzberger Kneipenrocklegenden versöhnt. Zum ersten Geburtstag trafen sich die Helden der Nächte eines großen Flittchenjahres ■ Von Jörg Sundermeier

Bis vor einem Jahr hatte Berlins Zentrum mit der Galerie berlintokyo nur eine einzige kleine Oase, in der regelmäßig Indie-Abende stattfanden, also jene kuscheligen und saufseligen Treffen, auf denen Musik von zurückgezogenen, wenngleich nicht immer leisen jungen Menschen gespielt wird. Treffen, auf denen die Musik und das Miteinander noch immer als sinnstiftend, wenn nicht gar als genuin politisch gilt. Heute ist die Galerie geschlossen, doch an den Rändern von Mitte haben sich zwei neue Schauplätze etabliert: zum einen das Bastard im Prater, das in nur wenigen Monaten zu einem regelrechten Indie-Zentrum wurde, zum anderen das Maria am Ostbahnhof und dort besonders die mittwöchliche Flittchenbar.

Spaltprodukt aus dem Lassie-Singers-Nachlass

Die Flittchenbar stammt ab vom Flittchen-Plattenlabel und ist somit eine Art Spaltprodukt aus dem Nachlass der aufgelösten Lassie Singers. Doch nicht nur diese Tradition macht die Flittchenbar zu etwas Besonderem, nein, sie stellt auf eine merkwürdige Art auch die Versöhnung des Planeten Kreuzberg mit dem Osten dar. Denn wenn auch bis heute ein eingefleischter Vorwende-Kreuzberger nur mit Maßnahmen der Gewalt in die Ostbezirke zu befördern ist, so ist es andersherum in der Flittchenbar in Friedrichshain absolut keine Seltenheit, zwischen den jugendlichen Beinahestudenten aus dem Prenzlauer Berg einen in Ehren angegrauten Kämpfer für linksradikales Leben und Punkrock anzutreffen. Insofern hat es die Flittchenbar vollbracht, die vielen kleinen Hinterhofbands, die nach dem Mauerfall im Osten entstanden sind und die Indie-Rock zumeist mit Mitteln der Elektronik betreiben, zu einer gemeinsamen Geschichte mit Kreuzberger Kneipenrocklegenden zu verbinden.

Die Betreiber der Flittchenbar wissen um den besonderen Wert ihrer Leistung. Entsprechend selbstbewusst begingen sie am vergangenen Mittwoch ihren ersten Geburtstag. Christine Rösinger eröffnete den Abend mit ihrer Band Britta und demonstrierte auf beruhigende Art und Weise, dass man sich nicht immer verändern muss, um gut zu sein. Brittas Songs, die in Haltung und Technik noch sehr nahe bei den Lassie Singers liegen, suchen nicht unbedingt in einer permanenten Modernisierung ihr Glück , sondern verlassen sich voll und ganz auf Erfahrungswerte. Dementsprechend haben sich Britta eine Position aufbewahrt, von der aus Geschichten noch erzählt werden können: seien es nun die Träume eines fernwehgeplagten Öltanks an der Autobahn oder aber die Geschichte eines Kindes, das, vom Fernsehen animiert, immer „Ho-Ho-Ho-Tschi-Minh“ ruft, während es radfährt. Barbara Morgenstern versuchte danach, einen Britta-Song auf ihre Weise zu covern, und bewies dabei unfreiwillig, dass diese Form von Text ohne Rock nicht funktioniert.

Im ersten Stock wurde danach die Band Maxi vorgestellt, die auch als Lassie-Singers-Spaltprodukt anzusehen ist. Hier waren jetzt sehr smarte und modernere Klänge zu hören, doch kann man deshalb nicht sagen, dass Maxi dynamischer als Britta erschienen. Im Gegenteil, je rockender es zuging, umso mehr schien das Publikum geeint. Auch die versammelte Indie-Prominenz kam währenddessen zunehmend einem schönen Bierglück näher, und es entstand eine gewisse Heimeligkeit, die den ganzen Abend beseelen sollte.

Bei Mutter war der alte Westen unter sich

Während im ersten Stock dann weiterhin Band um Band mit gepflegtem Pop eine Lounge-Atmosphäre verbreiteten, arbeiteten ab ein Uhr auf der Hauptbühne die Urkreuzberger Mutter am Publikum: Der Sänger Max Müller provozierte, redete und spielte mit den Publikum, doch trotz aller Show und trotz aller Rockmusikkunst, die Mutter hier mit meisterhafter Souveränität aufboten, wollten die Zuhörer nicht wirklich mitgehen. Gegen Ende des Auftritts war dann vor der Hauptbühne der alte Westen unter sich. Ganz hat es also dann noch nicht geklappt mit der Integration Kreuzbergs ins Neue Berlin.