Dekadenz des Unfertigen“

■ taz-Serie „Neu in Berlin“ (Teil 10): Die ehemalige „Bunte“-Chefredakteurin Beate Wedekind liebt den Geruch nach Aufbruch in Mitte und stellt dort Arbeiten von zeitgenössischen Künstlern aus

Beate Wedekind, 48 Jahre alt, früher Chefredakteurin u. a. von „Elle“ und „Bunte“. Seit Jahren pendelt sie zwischen Ibiza und New York, seit kurzem ist Berlin dazugekommen. In der Hauptstadt organisiert sie den Fernsehpreis „Die Goldene Kamera“ und das Grand-Opening des Sony-Centers am Potsdamer Platz. Zudem betreibt sie Ausstellungsräume in Mitte, gleich neben der Synagoge:

Ich habe in Berlin schon einmal von 1976 bis 1981 gelebt. Damals war ich Fremdsprachensekretärin an der FU und habe dann mit 29 beim Abend volontiert. Weggegangen bin ich, weil sich hier überhaupt nichts mehr bewegte. Berlin war eine vergessene Stadt. Ich bin nach Offenburg am Rande des Schwarzwalds und habe von dort meine Karriere gestartet.

Vor drei Jahren bin ich das erste Mal wieder hergekommen, um die Goldene Kamera zu organisieren. Aber da hat mich Berlin noch nicht überzeugt. Jetzt schon. Anfang Oktober habe ich im Kunsthof in der Oranienburger Straße meine „Pictureshow“ eröffnet, ein Ausstellungsprojekt für junge Maler und Fotografen.

In Berlin weht ein anderer Wind, geradezu körperlich spüre ich eine andere Dynamik als zum Beispiel in München, wo ich zwölf Jahre lebte. Mit den Leuten, mit denen ich es hier in meinem Alltag zu tun habe, und ich meine nicht nur die Medienmenschen und Künstler, liege ich auf einer Wellenlänge, und die heißt Schnelligkeit. Denken, Bewegen, Machen, am besten in einem Atemzug. Ich stelle in Mitte junge zeitgenössische Künstler aus. Politische Bilder. Bis Anfang Februar zeige ich Bilder von Rodrigo Gómez-Gatti, der aus New York nach Berlin kam und sich mit der Härte des Alltags beschäftigt, und von Vuk Vidor, einem serbischen Maler, der in Paris lebt.

Berlin ist eine unternehmerische Stadt. Wenn man eine gute Idee hat, kann man sie auch umsetzen, ohne lähmend langfristig planen zu müssen. Man wird zwar nicht sonderlich stimuliert, man muss sich den Antrieb schon selbst verpassen, aber man kann sich hier mehr trauen als anderswo.

Allerdings hat sich das neue Berlin, die viel beschworene Metropole, noch nicht richtig gefunden. Aber die Stadt hatte auch früher keine Identiät wie New York oder London. Berlin ist immer die Stadt der Durchreisenden gewesen. Weil die Beamten und Diplomaten hierher gekommen sind, entsteht zunächst wieder die Verwaltungsstadt, die Berlin unter den Preußenkönigen war.

Ich bin nach Mitte ins Scheunenviertel gezogen. Früher habe ich in Charlottenburg und in Kreuzberg gelebt. Kreuzberg hat sich sehr verändert. Das Alternative scheint mir im Gegensatz zu früher heute eher rückwärts gewandt. In Charlottenburg sind mir zu viele Hunde an der Leine. In Mitte liebe ich die Dekadenz des noch so gar nicht Fertigen. Hier riecht es nach Aufbruch. Eine Straße, die stinkt vor Schweiß, ist einfach lebendiger als der Duft parfümierter Pärchen. Trotzdem: Berlin habe ich nie als spießig empfunden, die Spießbürger laufen einem hier nicht zwangsläufig über den Weg.

Auf der Oranienburger Straße höre ich alle Sprachen der Welt, ohne in einem Museum zu sein. Ich bin hier viel mit Freunden zusammen, die wie ich aus dem Ausland hierher gekommen sind. Manchmal komme ich mir selbst wie ein Ausländer vor. Ich empfinde den Alltag oft als unerträglich intolerant. So nach dem Motto: „Was wollen die denn eigentlich alle hier?“ Da schwingt im Westen eine ungeheure Arroganz der Etablierten mit und im Osten der Stadt wohl auch eine gehörige Portion Enttäuschung und Resignation.

Die chancenlose Generation der Mittfünfziger aus Ostberlin, respektable Menschen, die nach der Wiedervereinigung plötzlich zu Verlierern wurden, in deren Haut möchte ich nicht stecken. Aber Berlin ist keine Insel mehr.Zugehört hat Annette Rollmann