Venezuela segnet neue Verfassung ab

Präsident Chávez erhält mehr Macht und spricht von einem Sieg über die „korrupte Oligarchie“. Die Opposition kritisiert die Machtfülle des Präsidenten und befürchtet staatliche Eingriffe in die Wirtschaft ■  Von Ingo Malcher

Buenos Aires (taz) – Der Mann mag sich nicht mit Lächerlichkeiten zufrieden geben. Gleich zweihundert Jahre soll seine neue Verfassung halten, kündigt er an. Hugo Chávez, Präsident von Venezuela, hat am Mittwoch einen weiteren Triumph errungen. In einem Referendum votierten 71 Prozent der abstimmungsberechtigten Venezolaner für eine neue Verfassung. 29 Prozent stimmten dagegen. Nach seiner Wahl zum Präsidenten vor einem Jahr hat Chávez eine verfassunggebende Versammlung wählen lassen, die in hundert Tagen die 350 Artikel der neuen Verfassung zu Papier gebracht hat. Schon bei der Wahl zu dieser Versammlung erhielten die von ihm unterstützten Kandidaten eine satte Mehrheit. Sehr zum Leidwesen der traditionellen politischen Klasse des Landes. Was Chávez besonders freut: Das Land an der Karibik hat ab sofort einen neuen Namen. Es heißt jetzt amtlich: Bolivarische Republik Venezuela, zu Ehren seines Befreiers Simon Bolívar.

Nach Annahme der neuen Verfassung müssen die Venezolaner bald wieder zu den Wahlurnen. Zu Jahresbeginn stehen Präsidenten-, Gouverneurs- und Parlamentswahlen an. Chávez eilt nach knapp zehn Monaten im Amt von Sieg zu Sieg und kann sich auf gut zwei Drittel der Bevölkerung stützen. Seine Popularität ist ungebrochen. Im Jahr 1992 war der Fallschirmjäger noch an einem gewaltsamen Putschversuch gegen die Regierung beteiligt. Trotz strömenden Regens in der Hauptstadt Caracas zog es den ehemaligen Militär auf die Straße, um seinen Sieg im Maßanzug zu feiern. Wie gewohnt lobte der 45-Jährige zunächst seine Wähler: „Das venezolanische Volk ist viel stärker als der Regen“, erklärte er.

Mit der neuen Verfassung will Chávez eine „pazifistische und demokratische Revolution“ anführen. Die neue Verfassung garantiert jedem Bürger das Recht auf soziale Sicherheit. Und in Artikel 299 steht: Der Staat „garantiert die gerechte Verteilung des Reichtums durch eine strategische und demokratische Planung“. Auch bestimmt die Verfassung, dass der Erdölkonzern in staatlichen Händen bleibt. Überdies soll der Staat demokratisiert werden. Mit der neuen Verfassung wird der Senat in Venezuela abgesetzt, es gibt in Zukunft nur noch den Kongress als einzige Parlamentskammer. Verlängert wird indes die Amtszeit des Präsidenten von bisher fünf auf sechs Jahre.

Die Opposition sieht in der neuen Verfassung einen Schritt zurück in die Epoche des Staatsinterventionismus der 70er-Jahre und wirft Chávez vor, ein Überbleibsel aus einer längst vergangenen Zeit zu sein. Überdies seien die neuen Bestimmungen nicht finanzierbar. Schon gar nicht in einer Zeit, in der das Land unter dem stetig sinkenden Erdölpreis leidet.

Außerdem kritisiert die Opposition, dass die neue Verfassung sehr eng mit der Person Chávez verknüpft ist und dass es weniger um den tatsächlichen Verfassungstext ging. „Leider wurde nicht über das Ja oder das Nein abgestimmt. Es ging viel mehr darum, den Präsidenten Chávez im Amt zu bestätigen“, bemängelte Hermann Escarrá, Mitglied der verfassunggebenden Versammlung, im venezolanischen Fernsehen. Die Vorbereitung für das Referendum sei einem Wahlkampf gleichgekommen, obwohl es um ein historisch wichtiges Thema ging.

Kritik an der neuen Verfassung kommt auch aus der Wirtschaft: „Die Venezolaner glauben, dass ihr Erdöl ihnen Reichtum garantieren muss. Und Chávez hat wieder die Fahne der Reichtumsverteilung gehisst. Das ist eine falsche Politik für ein Land, das versuchen müsste, neue Reichtümer zu schaffen“, sagt Ricardo Penfold, Direktor von Santander Investment in Caracas. Auch der Kündigungsschutz für Angestellte und Arbeiter passt Penfold nicht. Die neue Verfassung verbietet „ungerechtfertigte“ Entlassungen. Im Zweifelsfall muss die Gesetzesauslegung angewendet werden, die den Arbeitnehmer bevorzugt.