Jeder tanzt für sich allein

Ganz nutzlose Brustattrappen: Jan Jochymski seziert im Theater unterm Dach den „Stellungskrieg“ zwischen Männern und Frauen

Als sich der junge Dresdner Regisseur Jan Jochymki mit sechs Schauspielern an die Probenarbeit für sein neuestes Stück „Stellungskriege“ machte, da gab es das Stück noch gar nicht. Oder besser: Es gab keinen fertigen Stücktext. Bloß jede Menge frei flottierendes Diskursmaterial, das, genüsslich zu Spielmaterial umfunktioniert, einen bemerkenswerten Theaterabend im „Theater unterm Dach“ ergab.

Das Stück bearbeitet eine Vielzahl von Themen, die in aktuellen kulturpolitischen Debatten eine Rolle spielen: Angefangen bei Michel Houellebecqs Büchern bis zum Film „Fight Club“ – Material, das sich mit den Hinterlassenschaften der 68er-Revolution befasst. Und mit dem bedrohten Selbstverständnis jener revolutionären Protagonisten von einst. Mit den Menschen, die sich für antikapitalistisch hielten und sich nun mit dem Vorwurf auseinandersetzen müssen, sie seien in Wirklichkeit Kollaborateure des Kapitalismus gewesen: weil sie die Familie zerstörten, den letzten Schutz des Einzelnen vor den entfesselten Mechanismen des Marktes.

Es beginnt auf einer Straße. Dort stehen drei Frauen und drei Männer schon im Halbdunkel, als noch die letzten Zuschauer ihre Plätze suchen. Sie kommen vom Einkaufen, denkt man, und tragen braune Papiertüten. Verstohlene Versuche der sechs, Kontakt miteinander aufzunehmen, scheitern. Sie laufen, schlendern, stolzieren also aneinander vorüber. Auch später im Büro kommt kein Miteinander zustande. Angestellte ohne Gesicht, zugerichtet, um zu funktionieren. Bloß auf dem Klo können sie noch ein bisschen privat sein. Aber das Private äußert sich bloß als flüchtiges Onanieren. Bis der Kollege und mit ihm auch der Konkurrenzkampf kommt. Alles dreht sich um Sex, um den Arsch der Sekretärin, um einen schnellen Fick. Der eine hat damit Erfolg, der nächste nicht. Auch hier herrschen Marktgesetze.

Jochymski seziert Gestik und Gehabe des Stellungskrieges zwischen Mann und Frau. Ohne Häme und trotzdem mit beißender Distanz. Seine Figuren sind entsetzlich lächerlich und trotzdem herzzerreißend. Esther Esche als Sekretärin, die das ganze erotische Repertoire beherrscht und dies bloß nutzt, um die Leute im Büro auf Trab zu halten. Falk-Willy Wild als Macho-Attrappe und Axel Strothmann als Sexbesessener, der niemals Sex hatte und sich am Ende nach einer Fersehshow aus Verzweifelung kastriert. Ilka Teichmüller, einsame Großstadtfrau, und Nina Kolaczek, Telefonsexnutte, die im echten Leben völlig bieder ist.

Man begegnet sich im Büro, zu Hause oder bei der Silvesterfeier in Schwerin. Aber man begegnet sich eben nicht: Jeder tanzt für sich allein. Tragische Verrenkungen, um sich erotisch zu positionieren. Mit ausgestopftem Po, gepolsterten Schultern oder Brustattrappe. Und falls versehentlich doch mal so was wie Nähe entsteht, erträgt es keiner, und es bleibt bloß noch die Flucht. Esther Slevogt

Theater unterm Dach, Danziger Straße 101, Prenzlauer Berg. Nächste Aufführungen: Heute, morgen und 21. bis 23. 12., 20 Uhr