Macao: China ist seiner Wiedervereinigung näher gekommen
: Ungemütliche Zeiten für Taiwan

Anders als im Fall von Hongkong vor zwei Jahren hat sich in Macao kaum jemand darüber aufgeregt, dass weder Peking noch Lissabon es für nötig hielten, die Untertanen nach ihren eigenen Wünschen zu befragen. Demokratie gab es in Macao noch nie, und warum sollten sie gerade die Chinesen einführen? Jetzt können die Bewohner Macaos nur hoffen, dass Peking die Spielregeln einhält, die für die nächsten fünfzig Jahre in der „Sonderverwaltungsregion“ gelten sollen: In einem so genannten „Grundgesetz“ sind – wenn auch mit vielen Schlupflöchern – grundlegende Bürgerrechte festgeschrieben worden.

Für China gibt es einen einzigen Grund, sorgsam mit diesen Vorschriften umzugehen: Taiwan. Seit Jahren erklären die Politiker in Peking offen, dass die Rückgewinnung Macaos nur ein kleiner Zwischenschritt auf dem Weg zum großen nationalen Ziel der Wiedervereinigung mit der „abtrünnigen Provinz“ sei. Für die Landsleute aus Hongkong, Macao und Taiwan verwenden die Pekinger einen speziellen Begriff, der mit „die aus dem gleichen Schoß kommen“ zu übersetzen ist. Dieser Begriff zeigt, wie emotional besetzt das Thema in China ist.

Dabei ist es in den Augen der Regierung völlig gleichgültig, dass es einen gewaltigen Unterschied zwischen Hongkong, Macao und Taiwan gibt: Die von den Portugiesen einst Formosa getaufte Insel ist nicht das Opfer irgendeiner Kolonialmacht, sondern das Ergebnis eines Bürgerkriegs, bei dem die Verlierer sich auf den kleinen Vorposten retteten und dort zunächst eine kapitalistische Diktatur errichteten. Kapitalistisch ist Taiwan inzwischen immer noch, aber nach demokratischen Reformen seit den Achtzigerjahren keine Diktatur mehr. Vor allem aber ist es, auch wenn Peking das als Verrat bezeichnet, ein eigenständiger Staat.

Als der taiwanesische Regierungschef dies kürzlich öffentlich sagte, rasselte die Regierung von Präsident Jiang Zemin sofort mit den Säbeln. Die Politiker in Peking haben Angst, im eigenen Volk als schwach zu erscheinen, wenn sie auf Unbotmäßigkeiten in Taiwan nicht scharf genug reagieren. Die Übergabe Macaos bedeutet für Taipeh deshalb jetzt den Beginn einer äußerst ungemütlichen Zeit. Möglicherweise bis zu jenem Tag, an dem die Pekinger beschließen, ihre Ankündigung wahr zu machen.

Die Hoffnung der Taiwanesen ist nur, dass Peking sehr lange geduldig bleibt – und am Tag der Vereinigung nicht nur kapitalistisch, sondern auch demokratisch geworden ist. Jutta Lietsch