Koalitionen sind schon ausgedealt

Bei den Duma-Wahlen könnten Russlands Kommunisten wieder stärkste Kraft werden. Ideologisch unterschieden sie sich kaum von den anderen Parteien ■ Von Klaus-Helge Donath

Moskau (taz) – Eine recht originelle Art, den Erfolg des Mitbewerbers bei den russischen Duma-Wahlen zu vereiteln, ließen sich Gegenspieler von Pawel Woschchanow einfallen. Tag für Tag, drei Uhr nachts, holten die Konkurrenten dessen potentielle Wählerschaft telefonisch aus dem Schlaf und priesen Pawels Qualitäten in höchsten Tönen. Damit nicht genug. Auf Handzetteln warnten sie: Wochschanow erhebt Haustiersteuer auf Zierfische!

In der Schlacht um die Duma-Sitze, die keine ethischen Grenzen kennt, gleicht dieser Versuch der Einflussnahme einem liebenswürdigen Pennälerstreich. Die Bataillone der Hauptkonkurrenten, der Kreml-Partei „Einheit – der Bär“ und des Wahlblocks „Vaterland/Ganz Russland“ (VGR) um den ehemaligen Premier Jewgeni Primakow und Moskaus Bürgermeister Juri Luschkow, halten nicht ein, einander mit Mordunterstellungen und Veruntreuungen in Millionenhöhe zu desavouieren. Mitte der Woche rief Luschkow zu einer Großdemonstration gegen die undemokratischen Machenschaften des Kreml ins Stadtzentrum. Schönheitsfehler: Die Angestellten des öffentlichen Dienstes der Kapitale hatten keine Wahl. Die Mobilisierung erfolgte im Kollektiv nach dem Muster sowjetischer Freiwilligkeit.

Der vernichtenden Kritik am Wahlkampf halten Beobachter der Carnegie-Stiftung entgegen: Dass Wahlen überhaupt stattfinden, ist bereits bemerkenswert.“ Immerhin beherrschten monatelang Spekulationen die Debatte, Boris Jelzins Entourage könnte die Wahlen aussetzen, um einem drohenden Machtverlust vorzubeugen. „Der gesamte Wahlvorgang“, urteilt Carnegie, „ist hoch komplex, ausgefeilt und vor allem voraussagbar geworden“. Mit anderen Worten: Trotz Lärm und Manipulationen bewegt sich Russland auf die Normalität zu.

Laut letzten Umfragen werden morgen über 60 Prozent der Wähler an dem Urnengang teilnehmen. Sechs Parteien haben Aussichten, die Fünfprozenthürde zu überspringen. Nach wie vor dürften die Kommunisten unter Gennadi Sjuganow die stärkste Fraktion stellen. In Prognosen liegt die KPRF mit 25 bis 30 Prozent an der Spitze der Wählergunst.

Im Vergleich zu den Wahlen 1995 hat sich das Profil der Partei indes verändert. Soziologische Erhebungen des VZIOM-Instituts stellten fest, dass sich die russische Gesellschaft in den vergangenen vier Jahren trotz ökonomischer Krise in ihrem Verständnis von Wirtschaft weiter in Richtung Marktwirtschaft bewegt hat. Auf das Wirtschaftsprogramm der Kommunisten blieb das nicht ohne Auswirkungen: Von einer stark populistischen und strikt anti-marktwirtschaftlichen Position schwenkten sie auf eine gemäßigte Marktorientierung um. Von Renationalisierung strategischer Industriezweige ist keine Rede mehr, vergessen das Allheilmittel, über die Notenpresse soziale Engpässe zu überwinden. Der Grund: Über 50 Prozent der Russen halten Preissteigerungen für das größte Übel. Auch in der Steuerpolitik befürworten die Kommunisten eine niedrigere Quote.

Ideologische und programmatische Differenzen spielen bei der jetzigen Wahl paradoxerweise eine noch geringere Rolle als in den Vorjahren. Wirtschaftspolitisch nähern sich die Positionen an. Derweil bestehen in der Sicherheitspolitik, beim Vorgehen in Tschetschenien und in Fragen des Verhältnisses zwischen Moskau und dem Westen zur Zeit ohnehin nur marginale Abweichungen. Daraus resultiert, dass sich die Wahlblöcke schon im Vorfeld über Koalitionsmöglichkeiten in der Duma verständigt haben. So könnten die KPRF und Primakows VGR in der nächsten Legislaturperiode zusammenarbeiten.

Die Kreml-Partei „Einheit – der Bär“, eine virtuelle Vereinigung, die durch die Schubkraft Premier Wladimir Putins in Umfragen innerhalb von zwei Monaten von 2 auf 17 Prozent hoch schnellte, wird in der Duma auf die Unterstützung der „Union der rechten Kräfte“ (UdR) bauen können.

Die UdR stellt als solche schon eine Koalition verschiedener liberaler Parteien und Organisationen dar. Es ist ein Novum in der liberalen politischen Szene, die sich bisher wegen der Egozentrik ihrer Frontfiguren nicht hatte einigen können. Inzwischen gehören ihr Politiker des Umbruchs wie Reformarchitekt Jegor Gaidar, der ehemalige Vizepremier Boris Nemzow, Anatoli Tschubais und Sergej Kirijenko, der nach der Krise im August 1998 den Posten des Premiers räumen musste, an.

Sie haben wider Erwarten gute Aussichten, in die Duma einzuziehen. Ihre Strategie scheint aufzugehen, die Wähler mit dem jugendlichen Impetus der nachwachsenden Politikergeneration zu ködern. Die UdR wird mit dem Jelzin-Block „Einheit“ kooperieren. Die Feindschaft zwischen dem Oligarchen und Souffleur der Kreml-Kamerilla, Boris Beresowski, der als geistiger Vater des virtuellen Wahlvereins gilt, und Anatoli Tschubais, scheint vorübergehend beigelegt. Schon im Präsidentschaftswahlkampf 1996 hatten beide kooperiert, um die Wiederwahl Jelzins zu sichern. Danach entzweite sie der Kampf um Einfluss und Pfründen.

Als relativ sicher gilt auch der Einzug Jablokos, der einzigen demokratischen Partei, die die Bezeichnung auch verdient. Trotz gegenteiliger Anzeichen, trotz des dreckigen Wahlkampfs könnten der neuen Duma Abgeordnete angehören, die die inhaltlichen und gesetzgeberischen Aufgaben des Parlaments ernster nehmen als die der scheidenden Duma.