Einfach dazugehören

■ Erinnerungen ans Jetzt: Die Galerie Max Hetzler zeigt Fotos von Larry Clark, bei Kapinos stellt Doug Hall seine Städteaufnahmen aus

Larry ist o. k.“ Mit diesen Worten soll ein Skateboarder Larry Clark bei seinen Freunden eingeführt haben. Und Larry war so o. k., dass er nach einem halben Jahr Abhängen mit den New Yorker Jugendlichen den Film „Kids“ fertig im Kasten hatte. Noch immer ist es ziemlich verblüffend, mit welcher Offenherzigkeit der inzwischen auch schon 56-jährige Fotograf in die diversen Drop-out- und Randgruppen aufgenommen wurde. Bereits die frühen Fixerfotos aus der „Tulsa“-Serie von 1971 waren in einem solchen Nahbereich zu Sex und Drogen entstanden, dass man als Betrachter praktisch mit auf die Party oder ins Bett genommen wurde. Jetzt liegen Portfolios zu „Tulsa“ und der drei Jahre später begonnen Serie „Teenage Lust“ in der Galerie Max Hetzler aus – in weißen Passepartouts, die man mit weißen Handschuhen durchblättern kann.

Der Gegensatz ist gewollt: Einerseits ist Clarks Ästhetik des white trash komplett in Werbung und Popkultur aufgegangen; auf der anderen Seite wird die Kaputtheit der Szenen durch die Präsentation als museale Kostbarkeit noch verstärkt. Der Rahmen, in dem die Fotografien heute wahrgenommen werden, mag sich zwar verändert haben, die Inhalte sind aber weiterhin greifbar. Während einen auf den Bildern von Nan Goldin immer auch die Sentimentalität eines längst vollzogenen Scheiterns anweht, bleiben Clarks Fotografien noch 25 Jahre später kalt, rau und gegenwärtig. Sie sind Projektion und Wunsch nach Jugendlichkeit, während bei Goldin eher Bilanz gezogen wird von dem, was schief gelaufen ist.

Dabei hat er selbst in einer Notiz zu „Teenage Lust“ geschrieben, wie sehr die Fotografie für ihn eine Möglichkeit bietet, „die Zeit zurückzudrehen“. Deshalb ist es auch nicht die rege Anteilnahme des ansonsten unbeteiligten Erwachsenen, mit der Clark beobachtet, wie sich junge Frauen einen Schuss setzen oder Jungs bei einer Prostituierten ihren ersten blow job bekommen. Viel mehr suggeriert die Beiläufigkeit der Fotos ein Dazugehörigkeitsgefühl, das sich in den Bildern spiegeln soll. Clark ist besessen von der Vorstellung, dass im Bild die eigene Gegenwärtigkeit überlebt.

Doug Hall ist derselbe Jahrgang wie Clark und ähnlich obsessiv. Mit der Plattenkamera fotografiert er vom Helicopter aus Wohnsiedlungen in Las Vegas oder Badestrände in Kalifornien. Dabei entstehen weitflächige Landschaften in der Art eines Andreas Gursky, auf denen die Menschen als Miniaturen im erhabenen Setting von Freizeit oder Urbanität erscheinen. Am Computer sucht Hall die Bilder später nach Details ab, die er zu leicht verschwommenen Szenen aufbläst. Plötzlich wird aus dem Gemenge der Sonnenbadenden eine nackte Frau herausgefiltert, die in einer seltsam angespannten Haltung beim Lesen ihre Zehenspitzen ins Handtuch bohrt.

Dabei geht es Hall nicht so sehr darum, die visuelle Kontrolle über das Geschehen zu gewinnen. Eher schon wird in der Gegenüberstellung von Detail und Allover sichtbar, wie leicht dem Auge die Fülle an Informationen entgleitet. Was sich als Stadtpanorama oder Situation am Strand aus der Ferne harmonisch ineinander fügt, wirkt unter der Lupe diffus, chaotisch und vor allem willkürlich. Damit zeigt Hall zugleich ein Dilemma der Fotografie: Nicht das Wissen um die zeitliche Ausschnitthaftigkeit arbeitet gegen den Moment der Aufnahme, sondern der Blick des Fotografen selbst. Er kann sich auf alles konzentrieren und doch entgehen ihm dabei ständig Feinheiten, die erst im Nachhinein sichtbar werden. Wo Clark der verlorenen Jugend nachhängt, ist es bei Hall der verlorene Augenblick.

Harald Fricke

Bis 5. 2., Di – Sa 11 – 18 Uhr , Galerie Max Hetzler, Zimmerstraße 89 (vom 24. 12. – 4. 1. geschlossen); bis 30. 12., Di – Sa 11 – 18 Uhr, Kapinos, Gipsstraße 3