Abschied von den Kolonialherren

Macau gehört seit gestern wieder zu China. Dramatische Folgen hat das nicht. Nur die Falung-Gong-Sekte sorgt für etwas Unruhe

Macau (taz) – Der Himmel war gnädig: Am letzten Tag der Herrschaft Portugals über Macau vertrieb der Wind die graue Wolkendecke. Gelassen bereitete sich die kleine Enklave gestern auf die feierliche Zeremonie vor, die das Ende der 442 Jahre dauernden Kolonialgeschichte und die Rückkehr nach China besiegelte.

Am Morgen bildet sich vor dem Eingang des Hauptpostamts eine lange Menschenschlange: Die scheidende portugiesische Verwaltung gibt die letzten Sondermarken heraus, auf denen noch einmal „Republica Portuguesa“ steht. Eine Epoche geht zu Ende, und auf der Treppe steht Generalpostmeister Carlos Alberto Roldao Lopes, der den Augenblick offensichtlich genießt. „Ich bin der portugiesische Beamte, der am längsten in Macau ist“, sagt er stolz. „Und ich werde bleiben.“ Der Mann mit der spitzen Nase und dem grauen Bart zückt eine neue Visitenkarte: Darauf steht schon „Sonderverwaltungsregion Macau“, ab Montag offizieller Name des Territoriums.

Vor der Kathedrale stehen Sicherheitsbeamte mit Knöpfen im Ohr, eine Mercedes-Kolonne mit Motorrad-Eskorte ist vorgefahren: Der portugiesische Präsident Jorge Sampaio und Gouverneur General Vasco Rocha Vieira nehmen zum letzten Mal am Gottesdienst in der Kolonie teil. Die Kirche ist dicht gefüllt, die meisten Gläubigen sind Portugiesen. Von den 430.000 Bewohnern Macaus stammen nur noch ein paar tausend aus Portugal. Der Bischof betet das portugiesische Vaterunser, dann singt die Gemeinde „O povo de Deus“, „O Volk Gottes“.

Vor dem Hotel „Lisboa“ tauchen am Vormittag etwa 30 Anhänger der Falun-Gong-Sekte auf, stellen einen Kassettenrekorder auf den Boden und beginnen zur Meditationsmusik ihre Arme in die Höhe zu recken und die Rümpfe zu beugen. „Wir wollen der Regierung nur sagen, dass wir friedlich und gut sind“, erklärt die 31-jährige Zeng Jianling, bevor die Polizei nach einer Stunde beginnt, den Platz zu räumen.

Zeng stammt, wie die meisten der Gruppe, aus China. Sie arbeitet mittlerweile als Buchhalterin in Sydney und besitzt einen australischen Pass. Für die Portugiesen ist dies eine peinliche Situation: Das neue Grundgesetz von Macau verspricht Meinungs- und Religionsfreiheit. Doch Chinas Präsident Jiang Zemin ist im Anflug für die Übergabezeremonie um Mitternacht. Und die chinesische Führung reagiert derzeit auf nichts so allergisch wie auf diese Meditations- und AtemjüngerInnen. So hat die Polizei in den letzten Tagen versucht, Falun-Gong-Mitglieder an der Einreise zu hindern und einige aus ihren Hotels geholt, um sie auf die Fähre Richtung Hongkong zu verfrachten.

Während jenseits der Grenze, in der Sonderwirtschaftszone Zhuhai, sich die chinesischeVolksbefreiungsarmee darauf vorbereitet, am Montagmittag in blitzblanken Jeeps, Last -und Panzerwagen in Macau einzurollen, verlässt der portugiesische Gouverneur seine rosafarbene Kolonialresidenz und kurz darauf auch das Regierungsgebäude zum letzten Mal. Die rot-grüne Fahne erhält er auf einem Silbertablett gereicht, dann steigt er in seinen Mercedes mit dem Nummernschild „G-M“ – Gouverneur von Macau.

Die Chinesen waren der Bitte Lissabons nachgekommen, die Soldaten erst dann zu schicken, wenn auch wirklich der letzte portugiesische Kolonialbeamte abgereist ist – eine konziliante Geste. In Hongkong waren die Truppen bereits Punkt Mitternacht zur Stelle.

Macau kehrt heim. Das chinesische Fernsehen spricht immer wieder davon, dass Jahrhunderte der Schande und Schmach zu Ende gehen. Auch das Mutterland nimmt am Montag frei. Die Städte sind mit Fahnen geschmückt und feiern mit Konzerten und Banketten. Die Portugiesen veranstalten dagegen einen wehmütigen Abschied mit traurigen Liedern. Unter den Gästen sitzt der neue Regent, der Banker Edmund Ho. Mit dem in Kanada studierten Wirtschaftler und Hobbygolfer haben sich die Chinesen einen verlässlichen Vertreter ausgesucht. Als er im Mai zum neuen Regierungschef bestimmt wurde, hat er seinen portugiesischen Pass abgegeben. Der joviale und schwerreiche Ho soll besser als die Portugiesen dafür sorgen, dass die Morde der Triaden auf den Straßen Macaus aufhören.

Postmeister Carlos Lopes hat in den nächsten Tagen eine leichtere, wenn auch hoheitlich kaum geringere Aufgabe als sein neuer Vorgesetzter: Er wird die Ausgabe der ersten chinesischen Briefmarken beaufsichtigen. Jutta Lietsch