Chaos zu Wasser und zu Lande

Die Umweltkatastrophe durch den Tanker „Erika“ ist von den Hilfstruppen nicht mehr zu verhindern. Und verantwortlich zu machen ist auch niemand ■ Von Dorothea Hahn

Paris (taz) – Es wird ein Weihnachtsgeschenk. Zehn- bis zwölftausend Tonnen Schweröl aus dem vor einer Woche zerborstenen Rumpf des Tankers „Erika“ werden in der nächsten Woche an den französischen Küsten und vorgelagerten Inseln ankommen. Gegenwärtig schwappen sie in Tausenden von kleinen und großen Blasen auf dem immer noch stürmischen Atlantik. Je nach Wind wird der Landkontakt irgendwo zwischen La Rochelle und Biarritz stattfinden. Vielleicht am Donnerstag. Vielleicht auch erst Heiligabend. Aber kommen wird die Ölpest auf jeden Fall.

Verhindern könnte dies nur noch ein Wunder. Etwa eine von keinem Meteorologen vorausgesehene und für diese Jahreszeit völlig unübliche Änderung der Windrichtung von West nach Ost. Denn die technischen Mittel, die die französischen Seefahrtsbehörden und die Marine – unterstützt von Briten, Niederländern, Norwegern und seit diesem Wochenende auch von einem kleinen deutschen Schiff – gegen das Schweröl einsetzen, haben versagt.

Seit die „Erika“ vor acht Tagen am Sonntagmorgen um 6 Uhr vor Brest „SOS“ funkte, ist das Chaos zu Wasser und zu Lande perfekt. Immerhin gelang es den Rettungstruppen, die 26-köpfige indische Besatzung trotz Sturms und sechs Meter hoher Wellen von Hubschraubern aus von Bord des sinkenden Tankers zu holen. Doch zum Einsammeln des Schweröls fehlen die Mittel. Der Tanker hatte über 30.000 Tonnen transportiert, die auch gestern noch aus dem inzwischen an den Meeresboden gesunkenen Rumpf ausliefen. Die stürmische See behinderte nicht nur die Anreise der Rettungsschiffe, sondern auch den Einsatz von aufpumpbaren Barrieren, in denen die Ölteppiche abgeschleppt werden sollten. Bei dem hohen Wellengang der letzten Tage flutschte das Öl unter den Barrieren hindurch. Die Pumpen wiederum, die ohnehin nur in den selten windstillen Momenten zum Absaugen eingesetzt werden können, verstopften angesichts der zähen, klebrigen Konsistenz des Schweröls umgehend. Und dann stellte sich auch noch heraus, dass das Land für seine hunderte Kilometer lange Atlantikküste, an der täglich Dutzende von Öltankern vorbeikommen, nur über 20 Kilometer Barrieren zum Schutz gegen Ölpest verfügt.

So beschränken sich die Rettungstruppen darauf, mit ihren Schiffen quer durch die großen Ölteppiche zu fahren, um sie mit dem Kiel in viele kleine Teile zu zerteilen. Zwischen diesen „Blasen“, die gestern rund 60 Kilometer vor der Île d’Yeu und 130 Kilometer vor der ebenfalls von Urlaubsgästen geschätzten Insel Oléron angekommen waren, werfen Fischer ihre Netze aus. An Land holen Bürgermeister längs der Küste amtlich anerkannte Experten an ihre Strände, damit sie fotografische Bestandsaufnahmen von der Reinheit der Küstenlandschaft machen, mit deren Hilfe sie nach der absehbaren Katastrophe ihre Entschädigungsforderungen geltend machen. Dazwischen sprechen sich Austernzüchter und Hotelbetreiber Mut zu und sammeln Tierfreunde die täglich zahlreicher an den Küsten strandenden verölten Vögel ein.

Es ist, als wäre die Havarie der „Erika“ das erste Tankerunglück der Geschichte. Als wäre nicht seit dutzenden von Jahren bekannt, dass Schweröl zäh und klebrig ist, wenn es nicht erhitzt wird. Als hätte nicht schon einmal vor 21 Jahren die „Amoco Cadiz“ 360 französische Küstenkilometer zerstört. Als hätten nicht seither weltweit im Durchschnitt zweimal jährlich größere Tankerunglücke in Küstennähe stattgefunden. Ganz abgesehen von den zahlreichen Havarien auf hoher See, die nur selten aktenkundig werden.

Doch nicht nur die Retter und ihre Technik sind ohnmächtig. Auch die Suche nach den Verantwortlichen verläuft wenig erfolgversprechend. Zwar weiß man: Die „Erika“ transportierte französisches Schweröl im Auftrag des Konzerns TotalFina. Sie gehört dem italienischen Reeder Tevere Shipping. Weitere verwirrende Verhältnisse (siehe Box) machen eine Kontrolle kaum möglich. Zwar war die „Erika“ noch am 12. November in Russland „sicherheitsgecheckt“ worden. Doch beschränkte sich die Kontrolle – den internationalen Regeln entsprechendend – auf die sichtbaren Teile des Schiffes und auf seine Papiere. Der einzige, der gegenwärtig den Kopf für das ölige Weihnachtsgeschenk hinhalten muss, ist der indische Kapitän der „Erika“. Er sitzt in französischer Untersuchungshaft. Der Konzern TotalFina, der vor wenigen Wochen 118 Milliarden Franc (ca. 36 Milliarden Mark) ausgeben konnte, um mit Elf zu fusionieren, für den Transport seines Schweröls aber den Billigtanker „Erika“ mietete, fühlt sich unschuldig – schließlich gab es den Sicherheitsbescheid aus Russland und einen zweiten aus Spanien. Das hat unternehmerische Logik: Für einen Tanker unter französischer Flagge mit doppeltem Schiffsrumpf und einer gut ausgebildeten und tariflich bezahlten Besatzung hätte der Konzern eine rund 25 Prozent höhere Miete zahlen müssen – mit der „Erika“ sparte er täglich mehrere tausend Mark.