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■ Darf die Initiative „Mehr Demokratie“ per Bürgerabstimmung versuchen, Hürden für Volksentscheide zu senken? Gestern verhandelte der Staatsgerichtshof

Die Hürden für Volksentscheide sind in Bremen selbst nach Auffassung des Justizressorts zu hoch. Das sagte gestern Justiz-Staatssekretär Ulrich Mäurer vor dem Staatsgerichtshof. Allerdings sei eine Änderung des Procederes die Aufgabe der Bremischen Bürgerschaft. Das oberste Bremische Gericht verhandelte gestern darüber, ob die Initiative „Mehr Demokratie in Bremen“ ein Volksentscheid durchführen darf, um mehr Bürgerdemokratie durchzusetzen.

Vor mehr als einem Jahr hatte der bundesweit agierende Verein „Mehr Demokratie“ eine Initiative gestartet, mit der mehr Bürgerbeteiligung in politischen Fragen erreicht werden soll. Derzeit ist die Bürgerabstimmung in Bremen dreigeteilt: Für einen Zulassungsantrag müssen 5.000 Unterschriften gesammelt werden. Für das folgende Volksbegehren müssen rund 52.000 Unterschriften gesammelt werden, bei Verfassungsänderungen sogar doppelt so viele. Wäre das Volksbegehren erfolgreich, käme es zum Volksentscheid: Rund 130.000 Unterschriften für einfache Gesetze, bei Verfassungsänderungen rund 260.000.

Seit 1947 ist das Recht auf Volksentscheide in der Bremischen Verfassung verankert. Keiner der bisher nur neun Versuche war erfolgreich: Entweder scheiterten die Initiativen an den Zulassungsquoren oder die Gerichte erklärten die Abstimmungen für unzulässig. „Mehr Demokratie“ will diese Hürden deutlich senken: Beim Volksentscheid soll die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheiden und keine Mindestbeteiligung festgelegt werden.

Trotz des Eingeständnisses, dass die Hürden für Bürgerbeteiligung in Bremen sehr hoch sind, beharrten die Senatsvertreter gestern darauf, dass das Gericht das Volksbegehren von „Mehr Demokratie“ nicht zulässt. Eine Minderheit könnte ihre Interessen auch gegen den Willen einer Mehrheit durchsetzen, wird befürchtet, falls sich der „Mehr-Demokratie“-Vorschlag durchsetzt. Zudem wolle die Initiative unzulässigerweise erreichen, dass das Volk in Zukunft auch über Geld abstimmen darf – bislang dürfen nur Senat und Bürgerschaft das Steuergeld verplanen. Befürchtet wird eine Entmachtung der gewählten politischen Vertreter.

Ralph Kampwirth, Sprecher vom „Mehr Demokratie“ diagnos-tizierte in den Ausführungen des Senatsvertreters ein „ganz großes Misstrauen gegenüber der Bevölkerung“. Er verwies auf konkrete Erfahrungen, die mit aktiver Bürgerbeteiligung vorliegen: Ob in den U.S.A., in der Schweiz oder Bayern, die Bürger hätten nirgends das politische System über Volksentscheide gekippt. Auch in Finanzfragen würden sich nach einer Untersuchung Ausgaben und Ein-sparungen die Waage halten – schließlich könnte das Volk ja auch teure Projekte stoppen.

Die Richter gaben sich tendenziell skeptisch. Im Extremfall würde es ausreichen, eine betroffene Minderheit zu mobilisieren, um ein Volksentscheid zu gewinnen, sagte der vorsitzende Richter. Die politische Mehrheit habe dann keine Vertretung mehr.

Verhandelt wurde gestern auch darüber, ob das Volksbegehren der Initiative „WIR gegen die Rechtschreibreform“ durchgeführt werden darf. Die Reformgegner hatten ihre Initiative im November letzten Jahres gestartet. Der Senat beschloss wie im Fall vom „Mehr Demokratie“ den Staatsgerichtshof entscheiden zu lassen, ob das Volksbegehren zulässig ist. Strittig war gestern vor Gericht vor allem, ob das Volk den Senat auffordern dürfte, sich für ein Stopp der Reform auf Bundesebene einzusetzen – schließlich gilt in der entscheidenden Kultusministerkonferenz der Länder das Konsensprinzip, ein Land kann theoretisch eine Bundesinitiative zum Scheitern verurteilen. Die Entscheidungen in beiden Sachen werden am 14. Februar verkündet. cd