HALs zornige Kinder

Seit zehn Jahren lässt die Performancegruppe BBM Maschinen tanzen. Auch die Expo hat sie gebucht. Heute abend treten ihre Roboter im ZKM/Karlsruhe auf ■ Von Barbara Kern

Früher mischten sie Beton, bohrten sich tief in die Erde auf der Suche nach Kohle, klopften die Teerdecken von Autobahnen platt und bewährten sich so als willige eiserne Vollstrecker des menschlichen Fortschritts. Nun kriechen, robben, rattern, schleichen, stolpern sie sinnentleert herum, degradiert zu hirnlosen, schaurig-lustigen Schauspielern in einstündigen Performances. Maschinen haben es heutzutage auch nicht leicht.

Zweckentfremdet, umgebogen und zurechtgeschweißt wurden sie von den „Beobachtern der Benutzer von Maschinen“ (BBM). Von wegen beobachten: Die Hannoveraner Performancegruppe holt so ziemlich alles von der Baumaschine bis zur Panzerkette zurück aus dem wohlverdienten Ruhestand auf der Schrotthalde. Es sind die geistigen Nachkommen von HAL, dem Computer aus „2001 – Odyssee im Weltraum“, der beschloss, sich aus den Frondiensten des Menschen zu befreien. Sie schrecken, scheuchen, schocken ihre einstigen Herren. Doch Tote wie bei HAL gibt es bei BBM nicht.

Nach ein paar Minuten Maschinenaktivismus halten sich manche im Publikum entnervt die Ohren zu. Andere gehen mit verschränkten Armen auf Abwehrhaltung. Wieder andere kümmern sich rührend um eine dumme, putzige Babymaschine, die sich an einer Wand festgelaufen hat. Und dann erzählt schon mal jemand Olaf Arndt, David Artichouk oder Janneke Schönenbach, das sind die drei Motoren von BBM, wie sehr ihn das Geknattere erschüttert und bewegt: schlimmer als Krieg in den Medien, näher, echter, obwohl doch gar nicht wirklich.

Seit mindestens 20 Jahren gibt es Kunstprojekte mit simulierten Katastrophen. 1979 hat die kalifornische Gruppe „Survival Research Laboratories“ ihre ersten Stahlmonster aufeinander gehetzt. Gerne kolportiert – als Dokument der Authentizität – wird auch die Geschichte mit der Hand. Sie gehörte Mark Pauline, dem Gründer von SRL, und wurde ihm bei einem pyromanischen Missgriff abgerissen.

Mittlerweile hat sich Kunst aus dem Industrialumfeld etabliert: Heute bespielt Matt Heckart von SRL mit meditativ rumpelnden Stahlkuppeln die Experimentalbühnen der großen Staatstheater. Marcel.li.Antúnez von „La fura dels baus“ bringt Eisenbügel an Nase, Hintern und Brust an, die ihn auf Knopfdruck quälen oder stimulieren wie die Sexmaschinen bei Tomi Ungerer. Und „La fura“ itself torkelt besinnungslos – oder ist es zynische Abgeklärtheit? – zwischen Promotionaktionen für Daimlers A-Klasse (1997) und Operninszenierungen für die Salzburger Festspiele hin und her. Auch bei BBM erweist sich das Projekt Maschinenkunst als sehr variabel – nicht zuletzt dadurch, dass die zur Zeit sechsköpfige Gruppe in den vergangenen zehn Jahren 20 Mitkombattanten kommen und gehen sah. Die Mitglieder verteilen sich mittlerweile über ganz Deutschland. Vor jeder Performance treffen sie sich mal zwei Wochen, mal vier Monate. Früher in Berlin, seit neustem in der spacigen BBM-Werkstatt im Fuß einer Autobahnbrücke in Hannover. Sie kommen aus der Bremer Bauwagenszene, arbeiten als Grafiker oder Historiker. Nur eines sind sie meist nicht: diplomierte Künstler oder Maschinenbauer.

Die Szenarien beziehen sich oft auf politische Zustände oder auf Kunst, manchmal auf beides. Eine Flügeltür, die den Weg für den Performancebesucher nur widerborstend frei macht, ist inspiriert von einem Experimentalfilm über Ein- und Ausschlussmechanismen in der Gesellschaft. Eine verschiebbare Wand, die den Raum sukzessive verkleinert, will erinnern an die Unbehaustheit von Asylbewerbern. Und Überwachungskameras an den Maschinen halten Annäherungsversuche und Fluchtbewegungen der Besucher fest.

Auch der Maschinenzoo von BBM ist politisch gemeint. Zeigt er doch frei nach Marx, wie der Versuch, Natur zu beherrschen, umkippt – und plötzlich ist es der Mensch, der beherrscht wird. Eben die Hegelsche Herr-Knecht-Dialektik. Nur, zeigt er das wirklich? „Das bleibt ganz dir selbst überlassen“, meint Olaf Arndt, „aber ich finde es immer gut, wenn Marx zitiert wird.“ Dezidiert politisch wird in den Plakataktionen von BBM das Collage-Kontrast-Prinzip von Höch, Heartfield, Staeck weitergedacht. Ein Plakat zeigt zum Beispiel das World Press Foto des Jahres 1992: einen Skinheadschädel, der von einem Autonomen zertrümmert wurde. Darunter steht schön querständig: „Jeder hat einen anderen Traum.“ Vor vier Jahren dann wurde die Installation „Camera silens“ in Berlin vorgestellt. Die schalldichte Kammer war der Nachbau einer Testzelle für die Isolationshäftlinge der RAF von Stammheim.

Still wird das Spektakel heute Abend im Karlsruher ZKM allerdings nicht über die Bühne gehen. Dort erfährt der Maschinenpark von BBM einen interaktiven Dreh. Und wie bei fast allen Künstlern, die im Terrain von Multimedia wildern, werden die Versprechungen der neuen Medien nicht hofiert, eher schon persifliert und widerlegt. Konkret: Die Maschinen werden nicht vom Pult gelenkt, sondern steuern sich gegenseitig via Fotozelle. Ihr Programm funktioniert allein nach der Vorgabe, sich nicht zu nahe zu kommen. „Sie jagen sich voreinander her“, so Olaf Arndt, nicht ohne Schmunzeln. Wo sonst Bill Gates und Norbert Bolz von herrschaftsfreier Kommunikation und universaler Vernetzung schwärmen, herrscht Postdarwinismus unter den Robotern. Deshalb heißt die Veranstaltung auch KI – und K steht hier einmal nicht für künstlich, sondern für kollektiv.

Im nächsten Jahr dürfen die Maschinen von BBM auch auf der Expo zucken. Die große Expo-Lüge von einer humanen Technik im Kapitalismus ist zwar längst durchschaut. Was ist es aber nun, wenn eingefleischte Technikskeptiker wie BBM dort reüssieren können: erfolgreiche Subversion oder Niederlage?BBM vs. RechenZentrum: „sophisticates building by blind bulldozinh“ heute, 21 Uhr, im ZKM/KarlsruheAußerdem erschienen: „Das Modell einer neuen Gesellschaftsordnung. BBM 1995–1999“, 250 S., 48 Mark und das Video „Super! 9+1 Filme. BBM 1992–1999“, 35 Mark