Zwei Engel für W-Man

■ Die Weihnachtsliedexperten Fritsch/Röhrs sorgten in der prall gefüllten Blue Moon Bar des Jungen Theaters für eine schaurig-schöne, aber immer besinnliche Bescherung

Ob Mann, ob Frau, dick oder dünn, mit Schwarzgeldkonten gesegnet oder ohne: Weihnachten will der Mensch hierzulande Nadelbäume mit bunten Lampen dran und lecker Kekse auf'm Tisch. Ein geschmücktes Bäumchen der Sorte Edelacryl zierte die Bühne der Blue Moon Bar des Jungen Theaters, auf den Tischen Papptellerchen mit Gebäck. Soweit also alles o.k. (sieht man davon ab, dass am Nebentisch eine Frau im Piratenschlaberlook ungeniert wegmümmelte, was für meinen Magen gedacht war). Fehlt noch Musik: mit viel Hallelujaklingelingeling drin, wo's einem puschelig warm ums Lebkuchenherzchen wird.

Dafür hatte Blue-Moon-Bar-Betreiber Barfly zwei Experten engagiert: Herrn Reinhard Röhrs und Herrn Jan Fritsch. Herr Röhrs – ein Mann mit unverrückbarem Linksscheitel, den die Aura eines Schalterbeamten umgibt, dessen Papa Versicherungsverkäufer und dessen Mama Vorsitzende des Hausfrauenbundes gewesen sein muss – malträtierte mit besinnlichem Blick den Kontrabass. Herr Fritsch – von der Austrahlung her zweifellos mit seinem Compagnon verwandt – pustete weihnachtliche Weisen ins allerlei Blasgerät. Komisch nur, dass die von diesen Experten lückenlos dargebotenen jahreszeitlichen Chartbreaker von „Ihr Kinderlein kommet“ bis „Stille Nacht, heilige Nacht“ gar nicht so besinnlich klangen, wie man es jahrzehntelang daheim aus der familiären Musiktruhe gewohnt war.

Denn irgendwie gelang es dem Duo, aus jedem Weihnachtslied nach kürzester Zeit Jazzstandards zu destillieren, ihnen mindestens aber jenen volksmusikalischen Rhythmus zu entlocken, wie er während des Oktoberfestes von Bayerns versammelten Trachtentruppen gepflegt wird. Das war entzückend anzuhören, zumal sich die beiden Experten nicht nur als profunde Kenner weihnachtlichen Liedguts, sondern ebensosehr als virtuose Solisten zu erkennen gaben.

Dazu erzählten die Herren Fritsch und Köhrs wechselweise abstruse Geschichten von zugigen Ställen, Schneeflöckchen in Weißröckchen und altgermanischen Fellinschriften. Das war zumeist mäßig witzig, machte aber das Publikum in der ausverkauften Bar trotzdem lachend. Warum auch nicht, schließlich kannte dort offenbar jede jeden. Und falls nicht, hätte zumindest jeder jede kennen können, was im Effekt aufs gleiche hinauslief: Ein Heimspiel also vor prächtig gelauntem Volk, das die Barluft durch kräftigen Einsatz von Marlborowunderkerzen weihräucherte, bis auch das letzte Lungenbläschen sich im himmlischen Jenseits wähnte.

Im dritten Set dann rief Herr Fritsch noch per Handy beim Geburtstagskind Herrn Clüver an und bat ihn, seine Party samt Gästen doch ins Junge Theater zu verlegen. Herr Clüver kam tatsächlich, brachte mit Herrn Scheibe einen weiteren „Feinen Herrn“ mit und noch den Herrn Seemann und viele viele, so dass die Bühne am End zum Bersten gefüllt war mit schrägen Musikvögeln, die als grausiges Blöckflötenoktett „Alle Jahre wieder“ gaben. Schlimm, ganz ganz schlimm war das. So schlimm, dass man im nächsten Jahr bei einer Neuauflage gern wiederkommt.

zott