Du sollstnicht ehebrechen
: Erwäge die Liebe

Die Erkenntnis, dass der Mensch zu dritt ist, zwischen Mutter und Vater im Gegenüber mit dem eigenen und dem anderen Geschlecht lebt, sich mit dem Abwenden von der einen Person auch einer dritten zuwenden kann, gilt in der Psychoanalyse als wichtiger, vielleicht als der wichtigste Entwicklungsschritt überhaupt. Wieso also später die Fähigkeit, mehr als nur einen Menschen lieben zu können, Betrug nennen, wo es sich um einen andauernden Prozess menschlicher Reifung handeln sollte?

Ist nicht die Fantasie vom Traumpaar ein Rückfall in die frühkindliche Entwicklungsphase, da man mit Mutter noch ein und alles war? Und auch das stimmte ja gar nicht. Der Mensch wird in ein Dreiecksverhältnis geboren, auch dann, wenn die Mutter allein erzieht. Mütter gehen einfach fremd, betrügen ihr kleines Mädchen oder ihren kleinen Jungen, und zwar mit wem? Wenn nicht mit dem Vater, dann mit irgendeinem Onkel und manchmal mit einer Tante.

Im Talmud wird berichtet, zwischen den rabbinischen Lehrhäusern Schammai und Hillel habe es eine mehrjährige Auseinandersetzung darüber gegeben, ob es dem Menschen dienlich wäre, nicht erschaffen worden zu sein. Der Mensch hätte nicht schuldig werden können, er hätte nichts zu erzählen und nichts zu beweinen gehabt. Da der Mensch erschaffen worden ist – darauf einigte man sich –, erwägt er sein Tun vor dem Handeln.

Erwägen heißt nicht einfach, etwas zu unterlassen. Auch der Ehebruch will verantwortet sein. Fragwürdig ist der Ehebruch, der erst dann so richtig schön durchgefühlt wird, wenn er den Betrogenen ins Gesicht gebeichtet werden kann. Aber was ist schwieriger: die verborgene Liebesgeschichte gegenüber dem Partner oder der Partnerin zu verschweigen und dabei in der Zuwendung nicht vernachlässigend zu werden oder aber uneingeschränkte Treue?

Keinen Ehebruch zu begehen bedeutet nicht, eine gute Ehe zu führen. Vielleicht ist es eine der unmenschlichsten Überforderungen seiner selbst und der anderen, in der Zweierbeziehung anhaltend glücklich werden zu müssen. Und wäre es denn einfacher, nichts zu sagen? Nicht zu gestehen muss nicht verlogen, sondern kann verantwortlich sein, nicht zuletzt sich selbst gegenüber. Die sich betrügen und hintergehen lassen, vielleicht um etwas zu erhalten, dürfen darum nicht entwertet werden.

In der Urfassung des Gebotes, das heißt im Gespräch zwischen Gott und Moscheh (Thora, Leviticus 18. bis 20. Kapitel), wurde nicht der Ehebruch explizit verboten, sondern der Inzest, wobei die weitere und angeheiratete Verwandtschaft einbezogen war. Verboten wurde außerdem die Sodomie sowie die Homosexualität zwischen Männern, nicht aber zwischen Frauen.

Erwäge dein Tun vor dem Handeln, dass du es verantwortest, das heißt auch: Erwäge den Ehebruch. Es könnte Liebe sein.

Viola Roggenkamp