14 Strophen

Weihnachten zu Hause ist schlimm. Bei Katholiken ganz besonders. Da werden permanent Weihnachtslieder gesummt, die man schon nach dem ersten Kaufhausbesuch im Dezember nicht mehr hören kann. Dann folgt der alljährliche Streit um Lametta und echte Kerzen am Baum. Meine Eltern sind nämlich Traditionalisten. Mit dem Unterschied, dass es in Mutters Kindheit schon Lametta gab. Bei meinen Vater gab es nur Strohsterne. Dafür aber wurde aus Papas Kindheit der Weihnachtsbaumständer gerettet. Der dreht sich sogar. Aber damit er sich frei drehen kann, will mein Vater echte Kerzen. Die dann außer am Heiligen Abend nie wieder angezündet werden, klagt meine Mutter, die auf elektrisch Licht schwört. So ganz passt das sowieso nicht zusammen, mit Baum und Tradition und so.

Die Familiensitte will es, dass wir zur „Bescherung“ alle im dus-teren Flur stehen und da Weihnachtslieder singen, bis die Tür ins warme Wohnzimmer aufgeht. Als Kind war das noch irgendwie lus-tig. Und aufregend. Ab 15 gab es nur noch betretene Blicke. Gesungen wird das Lieblingslied meiner Schwester. Sie kennt alle 14 Strophen. Leider passt das nicht zu dem Lied, das der Christbaumständer spielen kann. Der spielt „Oh Du Fröhliche“ (rasend schnell – schließlich ist die Spieluhr gut 60 Jahre alt). Meine Schwester dagegen plärrt „Am Weihnachtsbaum“, während alle betreten auf nämlichen (mit Ansätzen von Lametta) starren. Alle 14 Strophen lang.

Bei meinem Freund sieht das anders aus: protestantisch rational. „Die Geschenke“, wird man begrüßt, „liegen in der Ecke.“ Sie sind nicht mal eingepackt. Kein Baum, kein Lametta, keine Lieder. Nicht mal Plätzchen. pipe