Der Ministrant

Nach dem letzten Bissen Braten sitzt die Familie noch einige Zeit gemütlich beisammen. Bis Großmutter quengelt, sie sei müde und möchte nun bitte nach Hause gebracht werden. Ein entscheidender Moment: Nun löst sich die Weihnachtsgesellschaft langsam auf. Wenn der Enkel von der Fahrt nach Hause kommt, verbringt er noch einige Anstandsminuten bei den Eltern, die mit ihrem Gähnen signalisieren: Nun geh' schon los. Denn vor dem Gemeindehaus treffen sich die Schleicher, um wieder einmal die katholische Gemeinde zu unterwandern. Den Festgottesdienst haben sie alle geschwänzt. Der ehemalige Ministrant mit der besten Ortskenntnis. Die Ex-Jugendgruppenleiter. Ein langjähriger Zeltlagerleiter übernimmt die Initiative: „Dann wollen wir mal.“ Die Gemeinde sitzt bereits, wie stets nach der Christmette, bei der sogenannten Agape zusammen. Der gut gelaunte Pfaffe begrüßt die Gruppe, die jetzt den Saal betritt. Er kennt alle noch von früher. Und die Neuangekommenen kennen sich im Gemeindehaus aus. Wo der Schlüssel für den Weinkeller verwahrt wird, ist ihnen bekannt. Wie die Musikanlage aus ihren Flightcases zu befreien ist auch. Mit leisen Klängen werden andere Jugendliche angelockt.

Und sobald die Gemeinde sich verzogen hat, wird die Musik lauter. Und die leeren Flaschen mehr. Die ersten nebligen Schwaden durchziehen den als „Discoraum“ bezeichneten unterirdischen Mehrzweckbunker. Man lässt den Weihrauch zum Himmel steigen, denn auch diesen Schnorrern wurde heute der Highland geboren. Gegen fünf Uhr verlassen die letzten schwankenden Gestalten das Gebäude. Der letzte macht für ein Jahr das Licht aus und schließt ab. Der ehemalige Ministrant findet intuitiv den Heimweg.

Und weiß: Heute vormittag wird er seine Mutter hassen, wenn sie gegen neun Uhr sein Zimmer betritt und fragt: „Kannst Du mir eben helfen, die Gans zu wenden?“ else