Mein schwerster Gang

Mein Einwand, dass der Koran den Weihnachtsmann nicht kenne, wurde souverän übergangen. Der kleine Oktay freue sich schon seit Wochen auf die Bescherung. Als nächstes banden mir die Gefährtin und ihre Freundin E. ein Kissen vor den Bauch, hängten mir einen alten roten Morgenmantel um und stopften mich in ein paar Gummistiefel. Ein Bart war natürlich auch zur Hand, desgleichen ein staubiger Kartoffelsack und eine Zipfelmütze. „Du klopfst an, machst ein paarmal Ho Ho Ho, gibst die Geschenke ab, und kommst wieder rauf“, meinte die Gefährtin noch. So stand ich denn vor der Wohnungstür von E.s türkischen Nachbarn und memorierte meine türkische Auftrittszeile. Schließlich hob ich die rechte Faust, hieb dreimal gegen die Tür und siehe, mir ward aufgetan. „Kücüc Oktay nerede?“ brachte ich mit einem strengen, aber wohlwollendem Brummen heraus, worauf mir ein nicht eben respektvolles „Hä?“ entgegnet wurde.

Würdevollen Schrittes begab ich mich in die gute Stube, wo ich den Ehrenplatz neben dem bullernden Gasofen angeboten bekam. Derweil Oktay kopfüber im Kartoffelsack wühlte, gab ich ein bedeutungsvolles „Ho Ho Ho“ von mir und ergriff dankbar das angebotene Gläschen Raki. Dann gab es auch noch Pfefferminztee, aber von dem trank ich nicht so viel. Oktay fuhr mittlerweile mit seinem neuen Fernlenk-Ferrari Achten um meine Gummistiefel.

Eine halbe Stunde und etliche Rakis später erhob ich mich schwitzend und schnaufend und ließ mich von Oktays kleiner Hand an die Tür führen. Jetzt galt es nur noch, ein paar aufgetragene Ermahnungen loszuwerden: seine Schwester nicht mehr an den Haaren zu ziehen, bei Aldi keine Süßigkeiten mehr zu klauen und abends ohne Geheule ins Bett zu gehen. Große Kinderaugen blickten mich an. „Und morgen bringst du mir dann neue Batterien.“

Wie auch immer ich an diesem Abend gewirkt haben mag, aus Oktay soll jedenfalls ein überaus braver Bub geworden sein. hg