Künstliche Kinderstube

■ Zuschütten der Hafenbecken verringert den Fischbestand. Denn die Becken sind das Rückzugsgebiet der Tiere

Der Stint hat es gut, weil er die Strömung liebt. Auf Ruhezonen in stillen Gewässern ist der kleine Fisch nicht angewiesen. Er kann auch mitten im Strom ausruhen, laichen, groß und stark werden. Weil das Elbwasser außerdem sauberer geworden ist seit der Wende, hat sich die Zahl der Stinte in der Hamburger Elbe erholt. Brassen, Rapfen, Aland, Zander, Barsch und Plötze dagegen stehen unter Druck. Nachdem zunächst ihre natürlichen Rückzugsräume verschwunden sind, geht es jetzt den Hafenbecken an den Kragen.

Die moderne Hafenwirtschaft kann nichts mehr mit den kleinen Hafenbecken anfangen. Stattdessen braucht sie hinter den Kais für die großen Containerschiffe Platz zum Stapeln, Umladen und Weiterverarbeiten der Ladung. Das Amt für Strom und Hafenbau hat deshalb damit begonnen, die Hafenbecken wieder zuzuschütten.

Erst in jüngster Zeit wurden 57 Hektar Land durch das Auffüllen des Südwest-India-Hafens gewonnen. Im Zuge der Elbvertiefung ließ das Amt den Griesenwerder Hafen mit Sand zuschütten. 17 Hektar des ehemaligen Vulkanhafens sollen im kommenden Jahr vollends verfüllt werden, und für 2001 steht ein weiteres Becken auf dem Flächengewinnungsprogramm: Der Kohlenschiff-Hafen mit rund 20 Hektar – 200.000 Quadratmetern.

Für viele Fische ist das gar nicht gut. Vor allem Larven und noch schwache junge Fische halten sich in den ruhigen Hafenbecken auf, wie der Biologe Ralf Thiel vom Institut für Hydrobiologie und Fischereiwissenschaft der Uni Hamburg berichtet. Dort gibt es reichlich Nahrung: Schlammröhrenwürmer, Sägegarnelen, kleine Krebse. Im Winter suchen die Fische Schutz vor der Kälte im tiefen Wasser. Bis zu zehnmal mehr Fische als im Elbstrom schwimmen aufgrund dieser Vorzüge in den Häfen.

Angesichts des enormen Nutzungsdrucks auf das Hafengebiet, findet sich Herbert Nix von Rettet die Elbe in der Zwickmühle, entweder weiteren Landverbrauch hinzunehmen oder auf Hafenbecken zu verzichten. Dass die Becken zugeschüttet werden, kann er sich eher vorstellen, gleichzeitig aber müss-ten naturnahe Räume geschaffen werden. „Pervers“ wäre es, so Nix, das Mühlenberger Loch, die Kinderstube der Elbfische, zu zerstören, und sich damit zu trösten, dass die künstlichen Hafenbecken erhalten bleiben. Gernot Knödler