Der Osten ist ihnen nicht grün

■ Die Bündnisgrünen haben bislang noch kein Konzept, wie sie im Osten der Hauptstadt stärker Fuß fassen können. Wo das alternative Milieu schwach ausgeprägt ist, haben sie kaum eine Chance

Die Grünen sind im Ostteil der Stadt Fremdlinge geblieben. So fremd wie die DDR-Opposition in der autoritär geprägten Gesellschaft gewesen sei, so fremd bleibe auch das grüne Projekt in der sich nur mühsam auflockernden ostdeutschen Gesellschaft.

Diese ernüchternde Analyse legt der grüne Landesvorstandssprecher Andreas Schulze drei Monate nach dem Wahldebakel der Grünen im Ostteil der Stadt vor. „Wir haben ein dickes soziologisches Problem“, stellt Schulze, ein Mitbegründer der Ostgrünen, fest. „Selbst da, wo das ganze Umfeld für uns spricht, werden wir nicht so sehr von Ostdeutschen angenommen.“ Auch in den grünen Hochburgen Prenzlauer Berg und Friedrichshain beruhen die grünen Wahlerfolge zum Teil auf Zuzüglern aus dem Westen.

Über die Problembeschreibung sind die Grünen allerdings noch nicht hinaus gekommen. „Es herrscht eine gewisse Hilflosigkeit“, stellt die frühere Abgeordnete Regina Schmidt aus Hohenschönhausen fest.

Das liegt wohl auch an den Schlussfolgerungen, die aus einer solchen Analyse gezogen werden müssten: Wenn es stimmt, dass die Grünen eine Milieupartei sind, dann können sie sich im Osten noch so sehr abmühen. Wo ein grünes Milieu nur schwach ausgeprägt ist, werden sie nur magere Prozente holen – von einigen Hochburgen einmal abgesehen. Eine trostlose Perspektive.

Doch in Theorie und Praxis spricht einiges für diese These: : „Wir haben in den letzten Jahren alles nur Erdenkliche getan, um in den Plattenbausiedlungen in Mitte für die Grünen zu werben“, sagt Stephan von Dassel. Und trotzdem sanken dort die Wahlergebnisse der Grünen stetig von acht auf zwei Prozent. Die Bewohner honorierten am Wahltag nicht, dass die Grünen in der Bezirksverordnetenversammlung die „schikanösen Modernisierungsmaßnahmen“ in einem der Wohnblöcke thematisiert hatten. Nicht einmal die persönliche Ansprache in einem Flugblatt an die „Bewohner der Kleinen Alexanderstraße 5“ fruchtete.

„Wahlkampf macht nur Sinn, wenn eine gewisse Aufgeschlossenheit für grüne Ideen da ist“, umreißt von Dassel, der 1989 aus Süddeutschland nach Mitte zog, seine Erfahrungen. Während die Grünen in den Plattenbaubezirken in der Stadtmitte auf 3,6 Prozent rutschten, holten sie in den Altbauquartieren rund um die Hackeschen Höfe 20 Prozent.

Auch in den Außenbezirken Marzahn, Hellersdorf und Hohenschönhausen waren alle Anstrengungen vergeblich. Im Wahlkampf wurden flächendeckend 130.000 Zeitungen verteilt. Der Rücklauf in Form von Anfragen nach zusätzlichem Informationsmaterial war gleich Null. Nicht einmal Wahlkampfeinsätze der prominenten Andrea Fischer sorgten für Aufschwung.

Auch eine Analyse des Wählerpotenzials weist in die gleiche Richtung: An Hand von so genannten Varianzkoeffizienten lässt sich feststellen, wo die Grünen noch Wählerpotenzial ausschöpfen können. Dort, wo die Abweichung vom landesweiten Durchschnitt bei mehreren Wahlen gleich bleibt, ist das Wählerpotenzial ausgereizt.

Im Klartext bedeutet das: Hoher Einsatz von Geld und Personal zahlt sich dort nicht aus. Stattdessen sollten die Grünen sich auf ihre Hochburgen in den Innenstadtbezirken konzentrieren. Das schlägt auch Stephan von Dassel in der grünen Parteizeitschrift Stachlige Argumente vor: „Wenige, aber kräftige ‚Leuchttürme‘ bündnisgrüner Kommunalpolitik können weit über die Bezirksgrenzen hinaus für Bündnis 90/Die Grünen werben.“ Nur mit dieser Werbung von außen sei eine Trendwende in Bezirken wie Marzahn oder Hellersdorf „zu unseren Gunsten“ überhaupt denkbar.

Mit „bodenständiger Kommunalpolitik“ ist kein Blumentopf zu gewinnen, meint von Dassel. „Es kommt drauf an, was Spektakuläres zu machen.“ Statt der unsichtbaren Fleißarbeit in den Bezirksverordnetenversammlungen sollten die Grünen auf öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen setzen. Darunter versteht er Sportturniere für Jung und Alt oder Kinderfeste. Auch von einer verstärkten Öffentlichkeitsarbeit verspricht sich von Dassel nicht viel: „Unsere spezifischen Themen will man da nicht lesen. Das muss man mal zur Kenntnis nehmen.“

Mit Skepsis betrachtet von Dassel auch Überlegungen, ähnlich wie die PDS Mietersprechstunden einzurichten. „Die kulturelle Differenz überbrückt man damit nicht.“ Die Akzeptanz grüner Ideen wie Ökologie, Liberalität und Postmaterialismus wird wohl nur langfristig durch gesellschaftlichen Wandel wachsen. Das dauerte auch im Westen der Republik mehr als ein Jahrzehnt.

Doch für ganz aussichtslos hält auch von Dassel die kommunale Arbeit nicht. Sein Erfolgsrezept: „Je konkreter das Problem und je realistischer die Lösungsvorschläge der Grünen, desto eher schlägt sich dies in einem grünen Wahlerfolg nieder.“ Ein Beispiel: In Mitte setzten sich die Grünen dafür ein, dass der Innenstadtring am Stadion der Weltjugend nicht vierspurig durch ein Wohngebiet führt. Das überzeugte offenbar viele Wähler: In dem Stimmbezirk konnten die Grünen von 17 Prozent auf 25 Prozent zulegen.

Der Landesvorstand will die strukturschwachen Bezirksgruppen in Ost und West zunächst mit einer Erste-Hilfe-Maßnahme stabilisieren. Die finanzstarken Innenstadtbezirke sollen in einen Solitopf einzahlen, der nach ersten Überlegungen 120.000 Mark jährlich umfassen soll. Ein Viertel davon soll für die Grundausstattung der schwachen Bezirksgruppen verwendet werden. Der Löwenanteil stünde für dortige politische Kampagnen zur Verfügung. Doch die „Geberbezirke“ pochen darauf, dass der Landesvorstand erst ein politisches Konzept vorlegt, was denn mit dem Geld geschehen soll. Das allerdings fehlt noch.

Dorothee Winden