Steelband is tickeling me, de music so sweet

Oh Lord don’t blame me tonight, I go to danse in the street. Harry Belafonte wurde durch ihn berühmt: Eine kurze Geschichte des Calypso, seine Erfolge und Metamorphosen

Es war die erste Schallplatte eines Solomusikers, die sich weltweit mehr als eine Million Mal verkaufte, und sie bugsierte nicht nur den Sänger, sondern auch gleich einen ganzen Musikstil ins internationale Rampenlicht. Schlicht „Calypso“ hieß das Album eines jungen Newcomers namens Harry Belafonte, das 1956 in den USA erschien. Die Platte bestand aus Adaptionen populärer Balladen aus Trinidad, nicht wenige aus der Feder der Calypso-Größe Lord Burgess. Doch den Ruhm trug nicht der Komponist, sondern sein Interpret davon.

Es war nicht das erste Mal, dass ein exotischer Musikstil von einem Außenseiter aufgegriffen und für ein breites Publikum in kommerziell gefälliger Weise aufbereitet wurde. Harry Belafonte kam weder aus Trinidad noch hatte er einen persönlichen Bezug zu dem Eiland. Doch mit seiner Banana-Boat-Hymne brach Belafonte in den USA einem regelrechten Calypso-Boom die Bahn: eine der ersten Latin-Wellen, die durch die Vereinigten Staaten brandeten, mit dem heute 70-jährigen Belafonte als frühem Vorläufer eines Popidols wie Ricky Martin.

Wie so oft bei solchen Aneignungen blieb auch im Fall des Calypso einiges vom ursprünglichen Gehalt der Musik auf der Strecke. In seiner eigentlichen Form war der Calypso stets ein Medium des politischen Protests und des Sozialkommentars gewesen, und es heißt deswegen auch, dass die Geschichte Trinidads in diese Musik und ihren Texten eingeschrieben ist. Um genau zu sein, ist es ist die Geschichte der schwarzen Bevölkerung von Trinidad, die bis zu ihrer Befreiung durch den britischen Emanzipationsakt von 1838 als Sklaven auf den Kakao- und Zuckerplantagen arbeitete und deren westafrikanisch gefärbte Arbeitsgesänge die Quelle allen Calypsos bilden. Im Laufe der Zeit durchlief der Calypso diverse Metamorphosen, bereichert durch das Vorbild spanischer Troubadoure oder des Jazz aus den USA, vor allem aber unter dem Einfluss der europäischen Karnevalstradition, die sich auf Trinidad zu einem ganz eigenen Ritual ausformte. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen in Trinidad die so genannten Steelbands auf, die seitdem das Bild des karibischen Karnevals prägen. Auf bunt bemalten Ölfässern schlagen die vielköpfigen Percussion-Orchester den Rhythmus.

Um den Karneval zentriert sich bis heute das musikalische Leben auf Trinidad, wo alljährlich in der Karnevalssaison zwischen Neujahr und Aschermittwoch die große Zeit der Calypso-Sänger einsetzt. Im öffentlichen Wettstreit konkurrieren die Musiker um die Gunst von Publikum und Jury, die ihre Favoriten zum „Calypso-Monarchen“, und die Karnevals-Hits des Jahres zum „Road March“ küren – bei ersterem Titel wird mehr Wert auf den Inhalt der Texte, die Lyrics, gelegt, bei der Auszeichnung zum „Road March“ gibt die musikalische Qualität des Songs den Ausschlag.

Ein Kennzeichen für den Konkurrenzgeist der Sänger sind die oft martialischen Künstlernamen, unter denen sie antreten: Lord Executor und Migthy Destroyer, Roaring Lion und Atilla the Hun nannten sich einige der frühen Calypso-Stars, später firmierten prominente Vertreter des Genres unter so schillernden Selbstbezeichnungen wie Terror, Killer oder, besonders schön, Black Stalin. Frauen findet man bis heute nur selten in der Männerwelt des Calypso. Singing Sandra, die 1999 als Calypso-Queen ausgezeichnete wurde, ist eher eine Ausnahme.

Bis in die Siebzigerjahre hinein gab der Calypso, neben der afrokubanischen Musik, in der Karibik den Ton an, doch mit dem Siegeszug des Reggae und der kommerziellen Salsa-Musik aus New York gerieten die Klänge aus Trinidad ein wenig ins Hintertreffen. Mitte der Siebzigerjahre wurde der alte Calypso-Stil auf der Insel zudem abgelöst durch die neue Schule des „Soul-Calypso“, kurz Soca, eine modernisierte Tanzmusik, die den traditionellen Sound mit elektrischer Gitarre, Bass und Synthesizern aufdonnerte. Der Einfluss von Funk, Disco und Soul aus den USA schlägt im Soca-Sound durch, der heute nicht mehr beim Live-Auftritt im Festzelt den letzten Schliff kriegt, sondern vielmehr im Studio produziert wird und allerorten aus Ghettoblastern dröhnt.

Die Blütezeit des Ur-Calypso gehört wohl der Vergangenheit an, sie lässt sich in die erste Hälfte des Jahrhunderts datieren. Seit den Dreißigerjahren hat sich die Musik mit der Migration in die Metropolen des Nordens verbreitet, nach London und New York, wo auch die ersten wichtigen Plattenaufnahmen enstanden. Dort hat die musikalische Tradition Trinidads heute längst eine zweite Heimat gefunden: So haben karibische Einwanderer etwa dem Notting Hill Carnival in London, dem größten Straßenfest Europas, sein unverwechselbares Gesicht gegeben. Daniel Bax