Im Innern der Blockhütte

Gefühl und Verstand, Natur und Zivilisation: Von seinen einstigen Themen lässt Sydney Pollack in „Begegnung des Schicksals“ wenig übrig. Die Wahrheitssuche als temporäre Gefühlsverwirrung – hinter den Dingen liegt nur ein anonymes Hotelzimmer ■ Von Kerstin Stolt

Sydney Pollack ist einer dieser Regisseure, deren Namen man kennt, dann aber nicht weiß, welche Filme er gemacht hat – dass „Jenseits von Afrika“ sieben Oscars bekommen hat, ist schon lange her. Aber Pollack verzeichnet seit über dreißig Jahren und inzwischen auch als Produzent in schöner Regelmäßigkeit Box-Office-Hits (zuletzt hat er „Die Firma“ und das Wilder-Remake „Sabrina“ gedreht, „Sinn und Sinnlichkeit“ von Ang Lee produziert und, nicht zu vergessen, Tom Cruise in „Eyes Wide Shut“ großmännisch die Welt beim Billardspiel erklärt).

Der Mann kennt das Filmemachen also aus jeder Perspektive, weil er im Apparat, am Apparat und um den Apparat herum agiert. Dabei gilt es als seine größte Stärke, dass er auch mit mehreren Produktionsfirmen an der Hand das Individuum und seinen Kampf um Integrität nicht aus den Augen verloren hat.

Pollacks neuester Film „Begegnung des Schicksals“ passt in dieses Bild. Wieder loten ein Mann und eine Frau ihre Gefühle zueinander aus, wieder tritt sie kühl und karrierebewusst auf, er hemdsärmelig und emotional. Genauer gesagt: Kristin Scott Thomas ist eine Politikerin mitten im Wahlkampf, Harrison Ford Seargeant mit Haus am See. Sie heißen Kay und Dutch und lernen sich kennen, weil ihre jeweiligen Gesponse ein Verhältnis miteinander hatten und bei einem Flugzeugabsturz verunglückt sind. Damit ist die Liebesgeschichte von vornherein verbaut, und es beginnt ein kompliziertes Gehakel, in dem der andere mal die Erinnerung an den Verrat, mal ein Instrument der Rache, den Lückenbüßer, Freund oder ganz neuen Anfang darstellt (und nicht unbedingt in dieser Reihenfolge).

In Pollacks Filmen ist viel Zeit auf die Frage verwandt worden, warum sich zwei nicht kriegen. Dabei hat er diese Frage aus dem Melodrama herausgeholt und in einen gesellschaftlichen Diskurs verpflanzt: Streisand war für Redford politisch zu engagiert in „The Way We Were“, Redford für Streep zu freiheitsbesessen in „Jenseits von Afrika“. Von den alten Pollack-Themen wie dem Ausverkauf Amerikas und der Rückkehr des Individualhelden in eine gerade noch unschuldige Natur ist in „Begegnung des Schicksals“ aber kaum etwas übrig, gerade mal ein romantischer Höhepunkt in der Blockhütte. Man kann den Film trotzdem als eine Art der Zivilisationskritik verstehen; sie richtet sich nur nicht mehr gegen gesellschaftliche Institutionen wie die Presse oder das Showbusiness. Der Konflikt ist erstmals vollständig psychologisiert; die Entseelung Amerikas hat eine subtilere Form angenommen. Und es ist die weibliche Hauptfigur, die diesem Zustand ein Gesicht verleiht.

Anders als die ehrgeizigen Frauen in „Die Sensationsreporterin“ und „Der elektrische Reiter“ kommt Kay immerhin über das Zicke-Sein hinaus. Mit einem fein abgestuften Spektrum zwischen anfänglicher Härte und einer überraschenden Selbstsicherheit fügt sich die Figur perfekt in eine Welt, die auch sonst Ton in Ton gehalten ist (vorherrschend: Blau und Braun).

Die zeitlos eingerichteten Räume, durch die fortwährend leise Jazzklänge blasen, kaschieren jedoch den Riss, der eigentlich im Bild klaffen müsste. So sucht der Film ebenso wie Harrison Fords Charakter hinter der handwerklich geschliffenen Oberfläche nach einer Emotion, von der man sich manchmal nicht sicher ist, ob sie überhaupt existiert. Dass der Film tatsächlich einen Affekt unter Verschluss hält, verrät zuerst die eingestreute Kriminalhandlung. In der Welt von Dutch gibt es zumindest Gewaltausbrüche und andere Farben (jobbedingt: rote Blutflecken und Polizeisirenen). Und weil er mehr über die Vergangenheit seiner Frau wissen will, schleppt er Kay in eine Bar, wo die Ehebrecher verabredet waren: eine rote Höhle, in der sich viel Fleisch aneinander reibt. An diesem Ort bekommt man im Bild der anderen Paare auch den Schmerz der Betrachter zu Gesicht (so haben sie sich angefasst, so haben sie dabei ausgesehen). Kein Wunder, dass sie es hier nicht aushält, und nach einem kurzen gemeinsamen Fiasko (Sex in grotesken Nahaufnahmen) setzt sich die Oberfläche wieder zu Stillleben zusammen. Spätestens dann ist klar, dass „Begegnung des Schicksals“ nicht nur ein elegisches Stimmungsbild ist, sondern auch ein Bild der Verdrängung.

Pollacks Kontrolle über jedes I-Tüpfelchen im Bild (wer trägt wann welches Blau und steht vor welchem Hintergrund im Türrahmen oder nicht) entspricht dabei exakt dem Bedürfnis der Figuren, sich in der Krise keine Blöße zu geben. Leider verkommt der Film aber auf Dauer selbst zum warnenden Beispiel dafür, wie ein gefälliges Äußeres auf Kosten des Ausdrucks geht, hinter der viel versprechenden Reserviertheit der Bilder verbirgt sich offenbar doch nicht so viel. Das Verschwinden einer authentischen Innenwelt lässt sich jedoch nicht ohne weiteres als Verödung des Films abtun. Er hat nur, irgendwo zwischen Tanzbar und Blockhütte, eine unmerkliche Wende vollzogen.

So stellt sich zu guter Letzt heraus, dass nicht etwa Kay den Verlust noch beharrlich leugnet, sondern Dutch inzwischen einem imaginären Objekt nachjagt. Es kommt deshalb einer Befreiung gleich, wenn er schließlich das zweite Liebesnest entdeckt: auch so ein dezent eingerichteter Raum, in dem nichts Persönliches zu finden ist außer einer Nachricht auf dem Anrufbeantworter („Meet me for coffee“). Dass es hier, im Geheimen, plötzlich genauso steril aussieht wie in der Öffentlichkeit, beendet die Suche nach einer Wahrheit hinter den Dingen. Sicher, letztlich gibt es keine Traumata mehr, wenn der Gang nach innen nur in ein anonymes Hotelzimmer führt. Mit dem naiven Gegensatz von Echtem und Entfremdetem ist es auch vorbei (Liebe in der freien Natur, Ehebruch in der großen Stadt – wenn man solche Dichotomien insgeheim für wahr hält, sollte man schon aus dem Mittleren Westen stammen).

Trotzdem überraschend, dass gerade Pollack die Wahrheitssuche des Individuums als vorübergehende emotionale Verwirrung entlarvt. Und man kann es schwerlich als Happy End goutieren, dass Dutch auf eine Oberfläche zurückfällt, die im Film bis dahin alle Merkmale einer Attrappe getragen hat. Aber klar, jetzt können sich die zwei natürlich kriegen. Das heißt, erst mal verabreden sie sich zum Kino. Vielleicht sehen sie dann einen alten Pollack-Film, in dem es noch ein Drama war, wenn sich das Individuum unverhofft in einer scheinheiligen Umgebung wiederfand. Oder sie gucken „The Way We Were“, der hat auch ein trauriges Ende.

„Begegnung des Schicksals“. Regie: Sydney Pollack. Mit Kristin Scott Thomas, Harrison Ford u. a. USA 1999. 131 Min.