Zwischen den Rillen
: Tiefer in die Kissen

Beatbasteleien mit Jazz-Vibe: Beanfield und Karma setzen den Maßstab

Deutsche Elektronika ist hip, da ist man sich von England bis Japan einig. Schaden jedenfalls kann ein „Recorded in Augsburg“-Vermerk schon lange nicht mehr, im Gegenteil: bei Freunden avancierter Frickelei steht deutsche Maßarbeit hoch im Kurs, ebenso bei Liebhabern des galerie- wie clubtauglichen Kunst/Musik-Crossovers. So weit, so abgefeiert.

Doch auch in anderen Bereichen wird der Stand der Dinge zusehends von hiesigen Rechnern aus definiert, nur hat das bisher für weit weniger Aufsehen gesorgt. Vielleicht, weil das Kind noch keinen rechten Namen hat, die gängigen Genreeinteilungen zu kurz greifen und eher hilflos nach neuen Begriffsstrohhalmen gegriffen wird. „Dancefloor Jazz“ bietet sich als Arbeitstitel an, hat aber aufgrund einer gleichnamigen Compilation-Reihe keinen so guten Ruf. Doch ob man es nun Nu Jazz, Neo Fusion oder einfach doch Dancefloor Jazz nennt – die Mixtur aus Latin-, Afro- und Jazzfunk-Elementen auf der Basis eines in jede Richtung offenen Beat-Destillats aus House, Downbeat und Drum-’n’-Bass-Rhythmen gilt von New York bis Tokio jedenfalls als der ganz heiße Kram, und Produktionen aus deutschen Landen haben neuerdings einen besonders guten Ruf. Der Hype geht so weit, daß englische Produzenten schon zu deutschen Pseudonymen greifen und das Leitorgan aller Jazzhop-Hipster, das Magazin Straigth No Chaser, scherzhaft von einer „Germanification des Clubgeschehens“ spricht.

Vorreiter dieser Entwicklung sind etwa die Berliner DJs von Jazzanova, deren Maxi-Neuerscheinungen regelmäßig als neueste Positionspapiere der Neo-Fusion-Szene bestaunt werden. Vor lauter Remixaufträgen fehlte ihnen bislang allerdings die Zeit, ein genredefinierendes Album aufzunehmen. Doch das kann nun verschmerzt werden. Denn Beanfield und Karma erledigen den Job auf ihre Art. Sie dürften damit auch jene Skeptiker besänftigen, die hinter jedem Vibraphon bereits Verrat wittern.

„Human Patterns“ von Beanfield gibt die Richtung vor: an der Schnittstelle analog/digital darf gemenschelt werden. Und auch wenn der Ansatz nicht ganz neu ist, Computer so lange zu quälen, bis der Output nach gerissenen Bass-Saiten und einer sechsköpfigen Streichersektion klingt – man muß sich vor den Münchnern verneigen. Ihre Definition von zeitgemäßen, die technischen Möglichkeiten voll ausreizenden Fusion-Jazz ist nicht selten von zeitloser Schönheit und hat in den besten Momenten das entscheidende Plus an Seele, das Platten zu Lieblingsplatten werden läßt. So ein Moment ist beispielsweise „The Season“: Percussion, Streicher und ein warm federnder Off-Beat rollen den Teppich aus für das schier unglaubliche, von Rezitation in Gesang gleitende Debüt einer gewissen Bajka. Unpeinlicher können große Gefühle kaum evoziert werden. Wer hier immer noch nur Kaffeehaus- und Acid-Jazz-Analogien sieht und fehlende Ruffness anmahnt, der dürfte auch zum Stevie-Wonder-Hören in den Keller gehen.

Ebenso groß, wenn auch erheblich verzwickter ist „Enchanting Signs“, ein furios nach vorne stolperndes Breakbeat-Monster im gewöhnlich komplett tanzflächenfeindlichen 678-Takt. Und dennoch, es funktioniert. Denn hier ist Vertracktheit kein Selbstzweck – zeigst du mir deine Tricks, zeig ich dir meine –, sondern das einzig probate Mittel, das Gehör zu schärfen. Bloß nicht langweilen, irgendwas geht immer. Ihre Detailversessenheit und der Anspruch, keinen Congaschlag wie den vorangegegangenen zu setzen, sie erinnern an Jazzanova, und auch die Entwürfe ihrer anderen Neo-Fusion-Kollegen scheinen Beanfield genauestens studiert zu haben. „Human Patterns“ ist ein makellos homogener Wurf, an dem sich zu messen sein wird.

Die Kölner Kollegen von Karma gehen es auf „Thrill Seekers“ dagegen ein wenig unaufgeregter an. Während Beanfield beinahe übermotiviert fast alle Pokale des State-of-the art abräumen, dimmen Lars Vegas und Mojo Tom (alias Karma) erst mal das Licht herunter und atmen tief ein. Hinsetzen, husten und das „How low can you go?“-Spiel spielen. Tiefen ausloten im Sinne von: Wenn die Augenlider auf Halbmast stehen, dann ist weniger mehr.

Karma wissen das, und deswegen suchen sie ihren Thrill gar nicht erst in großen Gesten. Maßstäbe setzen und wegweisende Klassiker produzieren – seit ihrem visionären Brasil-House-Hit „High Priestess“, der schon 1995 vieles Folgende vorwegnahm, ist dieser Programmpunkt abgehakt. Was also bleibt zu tun? Karma entscheiden sich für Verfeinerung, sie zwingen den Hörer immer tiefer in die verkrümelten Kissen. Minimalste Modulation bei maximaler Wirkung. Das Mantra ist ein gemorphter Kontrabaß, der den wie in Watte gepackten Entwurf zusammenhält. Dass Karma ihren Hörern den offensichtlichen Thrill vorenthalten und manche Spannung unaufgelöst lassen, hat Methode. Man kennt das von längst kanonisierten Blue-Note-Klassikern: Das, was nicht kommt, wäre eh zuviel. Eine Art Versicherung gegen Auslutschung. Und eine Garantie, daß „Thrill Seekers“ bei jedem Hören weiter wächst.

Ein Entkommen dürfte es jedenfalls so schnell nicht geben. Denn Beanfield und Karma sind erst der Anfang. Wird ihr Level auch nur annähernd gehalten, dann hat Neo Fusion – oder wie immer sie es nennen mögen – noch eine Menge Zukunft vor sich. Cornelius Tittel

Beanfield: „Human Patterns“ (Compost Records) Karma: „Thrill Seekers“ (Spectrum Works)