Die verschwiegenen Einkommensmillionäre

Arme und Reiche rücken immer weiter auseinander: 30 Prozent der deutschen Bevölkerung kassieren 60 Prozent der Löhne und Gehälter, bereits hoch bezahlte Manager fordern „amerikanische Niveaus“ ■ Von Hermannus Pfeiffer

Eine 0,5-prozentige Vermögenssteuer auf die Hälfte des Geldvermögens brächte dem Bundesfinanzminister bereits 35 Milliarden Mark ein

Hamburg (taz) – „Die Bundesrepublik ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“, heißt es in Artikel 20 unseres Grundgesetzes. Aber Anspruch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander. Die wirtschaftliche Leistungskraft ist heute zwar fast vierzigmal höher als 1949, trotzdem reißt die Kluft zwischen Arm und Reich immer weiter auf.

Jürgen Schrempp, der Vorstandsvorsitzende von DaimlerChrysler arbeitet seit längerem an einer Amerikanisierung seiner Bezüge, nach allem, was man weiß, mit mittlerweile durchschlagendem Erfolg. Denn anders als in den USA bleiben die genauen Einkünfte der Spitzenmanager hier zu Lande geheim. Ein Unternehmenssprecher erklärte erst kürzlich, dass die Aufstockung dringend notwendig sei, damit die Gehälter bei Daimler-Chrysler international wettbewerbsfähig seien. Zuletzt soll Schrempps Gehaltsstreifen schon über 440.000 Mark im Monat ausgewiesen haben, ermittelte das Wirtschaftsmagazin Forbes.

Aber damit nicht genug: Aktienbeteiligungen oder kursbezogene Bonuszahlungen – der Fantasie, mit welchen Mitteln Topmanager und Aufsichtsräte ihren Wohlstand für die Zukunft absichern, scheinen keine Grenzen gesetzt. Schon in diesem Jahr wird das tatsächliche Einkommen des Daimler-Bosses die 10-Millionen-Mark-Grenze erreichen, „wenn es ein schlechtes Geschäftsjahr war“, meint Schrempp-Biograf Jürgen Grässlin. Am Ende eines guten könne Schrempp gar bis zu 15 Millionen kassieren.

Die steigenden Gehälter der obersten Manager werfen ein Licht auf die Einkommensverteilung. Denn tatsächlich leben wir in der Ein-Drittel-Gesellschaft: Das obere Drittel der privaten Haushalte verfügt über fast 60 Prozent aller Einkommen. Tendenz steigend.

Trotzdem scheinen Millionäre hier zu Lande Mangelware zu sein: Gerade mal einige tausend Steuerzahler im Westen und ein paar hundert im Osten bekennen sich gegenüber ihrem Finanzamt als Einkommensmillionär. Der Grund: Vele Reiche haben sich radikal dem Steuersparen verschrieben. Welch dramatischen Umfang dies angenommen hat, zeigt der „Steuerflucht-Skandal“, in den viele Banken und Sparkassen verwickelt sind. Ihre Anlageberater verhalfen zehntausenden Wohlhabenden zur Steuerflucht nach Luxemburg. Offensichtlich mit dem Wissen vieler Vorstände: So wurde im März der frühere Dresdner-Bank-Chef Sarrazin wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt.

Kriminalitätsforscher Hans See schätzt den jährlichen Schaden allein durch Steuerdelikte auf mindestens 150 Milliarden Mark: „Schon ein Bruchteil dieser Summe würde die Sparpläne von Minister Eichel unnötig machen.“

Aber auch ganz legal kann der Fiskus umgangen werden. Nicht allein in Deutschland zahlen clevere Unternehmer, Wirtschaft und insbesondere die großen Konzerne immer weniger Steuern. Dies gelingt – trotz nominal hoher Steuersätze – durch konzerninterne Gewinnumleitungen in Steueroasen und durch die Flucht in diverse Abschreibungsnischen. So sparte Daimler noch bei den Pleiten früherer Tochterfirmen wie Fokker oder AEG steuerliche Verlustvorträge über 10 Milliarden Mark an. Die werden nach und nach abgeschmolzen und damit sozialisiert. Im Ergebnis tendieren die Daimler-Steuern seit Jahren in Richtung null. Für 1997 und 1998 steht sogar ein dickes Pluszeichen hintern den Ertragssteuern: 1.739 Millionen Euro zahlte der deutsche Fiskus an Daimler – nicht umgekehrt, wie zu erwarten wäre.

Entsprechend verärgert reagiert das Bundesfinanzministerium. „DaimlerChrysler hat durch legale Steuerabschreibungen, nach eigenen veröffentlichten Angaben, in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre in Deutschland kaum Steuern gezahlt“, klagt ein Sprecher. Kein Einzelfall.

„Die Gewinnsteuerquote ist deutlich rückläufig“, bestätigt Dieter Teichmann, Finanzexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin. So sank der Steueranteil am Gewinn seit 1980 von fast 40 Prozent auf unter 21 Prozent. Im Klartext: Von 100 Mark Einkommen aus Unternehmertätigkeit oder Vermögen landen mittlerweile weniger als 21 Mark im Staatssäckel, früher waren es 40.

Die Steuerreform bringt zusätzliche Nettoentlastungen: „Der Gewinn nach Steuern wird bei vielen Unternehmen deutlich zunehmen“, freut sich schon die Centrum Bank in der Steueroase Liechtenstein auf einen zusätzlichen Pusch für die Aktienkurse.

Dass sich die öffentliche Diskussion über Vermögensverteilung, soweit sie überhaupt stattfindet, schnell auf Schrempp, Daimler & Co konzentriert, hat gute Gründe. Während es über aktiennotierte Unternehmen noch einsehbare Zahlen, wenigstens aber begründete Vermutungen gibt, wird der Geld-Olymp gar nicht erfasst, nämlich die wirklich vermögenden Privatpersonen.

Zwar sind die alten Konzernherren à la Flick und Krupp längst offiziell von der Wirtschaftsbühne abgetreten. Die neuen Herren sind angeblich „die Aktionäre“ und ihr Shareholder-Value. Doch das ist nur die halbe Wahrheit: Die ökonomische Macht halten weiterhin einige wenige in Händen, ein Dutzend Konzerne und einige Großbanken, die mit eigenen Aktien, mit den Depotstimmen ihrer Kunden, mit Krediten und personellen Verflechtungen die Deutschland AG dominieren.

Tatsächlich verschwunden ist weder die Macht des Geldes noch die Vermögen selber, denn die 5 Milliarden, die etwa Flick für den Verkauf seines Konzerns und seines Daimler-Anteils 1986 von der Deutschen Bank erhielt, haben sich keineswegs in Luft aufgelöst. Wenn er sie günstig angelegt hat, dürfte Friedrich Flick heute über mehr als 20 Milliarden Mark verfügen.

Und auch bundesweit gesehen sammelt sich immer mehr Privatvermögen. Mehr als 14 Billionen Mark haben die Deutschen angespart. Würde auch nur auf die Hälfte dieses Geldes eine Vermögensabgabe von nur 0,5 Prozent erhoben, klingelten 35 Milliarden in Eichels Bundeskassen, und von dem Sparpaket der Bundesregierung müsste niemand mehr reden. Zudem würden Reiche diese Abgabe kaum spüren: Mit ihren Aktienfonds – immer noch eine Domäne der Wohlhabenden – hätten Anleger Jahr für Jahr 14 Prozent verdient, freut sich Fondsmanagerin Elisabeth Weisenhorn in der ersten Werbezeitschrift der „Deutsche Bank 24“. Der Großteil dieser Erträge konnte übrigens steuerfrei kassiert werden, da Kursgewinne nach einer kurzen Spekulationsfrist steuerfrei sind.

Der neue „Armuts- und Reichstumsbericht“, den die rot-grüne Bundesregierung spätestens im Jahr 2001 vorlegen will, böte die Chance, ein klareres Bild von der tatsächlichen Vermögensverteilung zu entwickeln. Bislang allerdings beschränkt der federführende Bundesarbeitsminister Walter Riester (SPD) seine Erwartungen auf „fundierte Handlungsempfehlungen für die Sozialpolitik“. Der Fokus dürfte also wieder vor allem auf die gerichtet werden, die ihre Einkommens- und Besitzverhältnisse auch heute schon offenlegen müssen – die ärmeren Schichten der Bevölkerung.