„Wir freuen uns nicht bloß - wir staunen!“

Eine der spektakulärsten Abo-Aktionen der taz-Geschichte ist erfolgreich zu Ende gegangen. Was schrieben die anderen Blätter ?

Die taz-Abo-Kampagne ist abgeschlossen. Offizielles Ergebnis von zwölf Wochen Abo-Drohungen: 2.753 Neu-Abonnements und über 5.000 Kurzabos. „Ein runder Erfolg“, betont Gerd Thomas, Marketingchef der taz, „für den wir ein großes Dankeschön an alle aussprechen, die uns ein Vierteljahr lang unterstützt haben.“ Zwar wurde die angepeilte Zahl von 4.000 Neuabos nicht erreicht, aber eine Kündigungswelle gab es wegen der zum Teil provokativen Wetten auch nicht. Im gesamten Zeitraum belief sich die Zahl der Abo-Kündigungen nur auf 250 über normal. Die Hälfte davon dürfte auf das Konto der „Titten-taz“ gehen.

Die Zeit bis zum Start des neuen Blattkonzepts im März will der Verlag nutzen, um dem Ziel von 4.000 Abos noch näher zu kommen. Vor neuen Drohungen muss aber niemand Angst haben. Gerd Thomas: „Die Kampagne bis zum Start der neuen taz wird rundum positiv und sympathisch.“ Zum Abschluss der Abo-Aktion veröffentlichen wir noch einmal Stimmen anderer Blätter.

Keine neuen Ideen, Erpresser geben auf

Zwei Wochen früher als geplant endet die jüngste Kampagne, mit der das Blatt um neue Leser buhlte; zum einen, weil zwischen Weihnachten und Neujahr ohnehin nicht gut Werben ist, zum anderen, weil der taz keine spektakuläre Aktion mehr einfallen wollte. Die Idee, eine Ausgabe an die werbetreibende Wirtschaft zu verkaufen, war nicht zu verwirklichen, da sich kein Kooperationspartner fand. Mit ihrer „Drohungskampagne“ hat die taz weltweit für Schlagzeilen gesorgt. „Nackte Brüste für mehr Abonnenten“, wunderte sich die arabische Zeitung Al-Hagat über die „Titten-taz“, mit der das Blatt in die Gefilde von Praline vorstieß. Libération staunte darüber, wie fröhlich sich die „taz-light“ von ihrem kritischen Geist verabschiedete.

Nach einem Vierteljahr im Ausnahmezustand wird der harte Alltag die taz-Redaktion somit rascher einholen, als manchem lieb sein mag. Auch wenn zum Ende der Kampagne bei Redakteuren wie Lesern die Ermüdung um sich griff, gehören einige der Wochenendausgaben, in denen die taz freiwillig auf ihre Ideale verzichtete, doch zum Besten, was die Zeitung in den letzten Jahren zustande gebracht hat. Die höfisch orientierte „Adels-taz“ zum Beispiel zeugte von einer Kreativität und Spielfreude, wie sie die taz im Tagesgeschäft oft vermissen lässt. Der heiß umstrittenen „Titten-taz“ hingegen, die von einer pubertär anmutenden Lust an der Zote dominiert wurde, fehlte offensichtlich der boulevardeske Geist eines Franz Josef Wagner, der plötzlich seine sensible Seite entdeckte und trotz anfänglicher Zusage nicht zur Verfügung stand. Als er anschließend die „Titten-taz“ in anderen Bättern heftig kritisierte („wie Scheiße am Schuh“), war er wieder der Alte.

Im Nachhinein, sagt Gerd Thomas, sei er sich nicht sicher, ob man die „Titten-taz“ wirklich hätte machen sollen: Die Presseresonanz auf die Ausgabe sei eher gering gewesen, und sie habe so viele Abo-Kündigungen nach sich gezogen wie keine andere, nämlich 233. Die durchschnittliche Kündigungsrate der taz indes liegt bei 130. Offenbar haben nur rund hundert Leserinnen oder Leser die Zeitung gekündigt, weil diese mit dem Foto einer barbusigen Frau aufmachte – weit weniger, als man vor ein paar Jahren noch hätte befürchten müssen. Auch die Leserreaktionen, die das Blatt in einer täglichen Kolumne dokumentierte, deuten darauf hin, dass der Typus des humorlosen Dogmatikers unter der taz-Klientel nicht mehr allzu verbreitet ist. Von einzelnen Ausnahmen natürlich abgesehen.Jörg Thomann, „FAZ, 16.12.1999Montag danach

Vergangenen Samstag erschien dann, dank der Disziplin von nur 59 Abonnement-Verweigerern, die „Titten-taz“. Wir wollen unsere Begeisterung nun nicht hinter kleinlichen ästhetischen Bedenken (schlechtes Papier) verstecken. Seit den frühen 70er-Jahren, als die St. Pauli Nachrichten als linksradikale Tageszeitung für Politik, Krawall und Sex erschien, hat es eine witzigere Zeitung in der Republik nicht gegeben. Die taz hat einen großen Schritt nach vorne getan, auch wenn sie sich dafür in einer Hausmitteilung entschuldigt und besänftigend darauf verweist, die Idee zu der Titten-taz „kam von zwei Frauen“. Das macht die Sache nicht schlechter, denn Frauen wissen am besten, was Frauen gut tut. Sensible Männerseelen mögen von den Titelmädchen mit ihren Double-T-Cups geschockt sein. Doch wenn sich die Schockstarre gelöst und der letzte Muskel entspannt hat, werden sie erkennen, dass der Inhalt mit der Aufmachung Schritt hält. Ein Beitrag über die Schwäche des Euro heißt „Kein Viagra für den Schlaffi“, ein Interview mit Verkehrsminister Klimmt „Keine Angst vorm Fliegen“, eine Seite über nächtliche Sexprogramme im Fernsehen kommt schon in der Überschrift zur Sache: „Der Erste Fick“, und eine fiktive Story über Politiker, die schwere Verantwortung tragen, greift Oskar und allen anderen in die Hose: „Der Schwanz schlägt links“.

Wir freuen uns nicht bloß, wir staunen. Die taz hat nicht nur eine Chefredakteurin (es ist schon die vierte), irgendwo im taz-Apparat gibt es auch einen älteren Herren, der, immer mit selbstgestrickten Pullovern angetan, die Welt vor dem Untergang retten möchte. Dass er die Ausgabe nicht verhindern konnte, spricht für die innere Pressefreiheit der taz; doch dass wir schon wieder erpresst werden, nehmen wir den taz-Frauen übel. Jetzt müssen sich die taz-Leser organisieren und ihrerseits Forderungen stellen. Noch ein Foto von Joschka Fischer im Jogging-Anzug und wir kündigen die Abos!

Henryk M. Broder, „Der Tagesspiegel“, 29.11.1999 Einsamer nie: Die taz im Jammertal

Bislang hatte die taz nur ein ökonomisches, jetzt hat sie auch ein politisches, oder, wie unsere Marketingphilosophen zu sagen pflegen: ein Profilproblem. Dabei wäre die Finanzkrise im Handumdrehen zu lösen. Zwei Jahrzehnte war die taz der Garten Eden des „bürgerlichen Journalismus“. Die Herren der Konkurrenz winkten, und oft genug fielen ihnen die wilden Früchte einfach in den Schoß. So wurde die taz zum Nachwuchsversorgungswerk der deutschen Presse, was diese ihr nie verzeihen wird. Dafür hat die Redaktion dreifach bezahlt, mit Hungerlöhnen, biografischem Selbstverzehr und dem Verlust der Besten. Das schreit nach Wiedergutmachung. Ein Promille des Werbeetats von FR-SZ-FAZ und stern-ZEIT-Spiegel, überreicht in Leisler Kieps persönlicher Aldi-Tüte – und die taz ist gerettet.

Vielleicht wird sie dann erst richtig untergehen. Denn der taz würde, frei nach Beckett, ein Wunsch erfüllt, der sich niemals erfüllen darf: Das frechste Kind der Bundesrepublik, mit dem Anarchistenzeichen auf dem Ranzen, kam ins Ziel und ist Regierungszeitung am Hof der Berliner Republik. Doch wenn die Alternative an die Macht kommt, hält sie ihre Macht für alternativlos. Dann ist, historische Ironie, der Abstand zwischen Protest und Jasagerei, zwischen FAZ und taz so kurz wie ein Buchstabe.

Die taz, das ist ihr Unglück, überfordert sich nicht mehr, schon gar nicht mit den Wonnen der Theorie. Das Schicksal teilt sie mit anderen, aber für sie ist es tödlich. Käme jemand mit dem Genie eines Foucault und der Verzweiflung eines Camus, getarnt mit der blinden Wut eines Houellebecq: „Nö, kein Platz, sonst gerne, wir sind Regierung.“ Im Gegenzug sucht die taz 300 neue Leser. Woche für Woche.

Thomas Assheuer, „Die Zeit“, 25. 11.1999

Light sind wir leid

Bleich wie der neunmondige Morgen fiel die taz am Samstag in den Zeitungskasten, wurde alsbald erdrückt von den Wochenendausgaben der Süddeutschen, der Frankfurter Allgemeinen und der Frankfurter Rundschau. Bleich war der Schriftzug, die Tatze nur mehr eine grauwertige Erinnerung an die große Zeit mit Mathias Bröckers und Thomas Kapielski. In Schwungschrift ist ein Light in den Zeitungskopf gemalt, und drunter steht die Drohung oder das, was die taz an diesem Samstag auszeichnen soll: „meinungsreduziert / kritikarm / magenschonend“. Echt krass.

Ein „Plittersdorfer Programm“ verspricht die prompte Umsetzung der neuen Blattlinie: „Wir geloben in tief verwurzeltem Glauben an die Hl. Dreifaltigkeit Schröder, Scharping und Fischer, dieser Regierung fürderhin dienlich zu sein, ihre sicherlich wunderbare Politik zu fördern, kein kritisch Wort mehr über angebliche Zauderer und Zögerer zu verlieren und von der großen Tatkraft der gesetzgebenden Gewalten unablässig und freudig Kunde zu tun, auf dass der Wille der Wähler uns niemals scheiden möge.“ Ausgerechnet die taz!

Aber, liebe leicht gewordene taz: Das mit der Regierungsanbetung macht ihr doch schon seit einem Jahr und Tag. Wer nicht Asyl fand bei der Zeit, sitzt bei der rot-grünen Koalition und regiert bzw. schreibt Reden bzw. spindoktert bei den ehemaligen Kollegen. Und die Sitzengebliebenen klatschen Beifall bei jedem Haken, den der Joschka schlägt. Nur auf der Rückseite, bei der „Wahrheit“, gibt es noch ein Widerstandsnest, da zeichnet der unvergleichliche TOM, da ackert sich Droste durch die böse Welt.

Der taz wurde ein 20 Jahre lang klammheimlich gehegter Traum erfüllt, sie ist Regierungsblatt geworden. Dass die taz genauso weichgespült herumrudert wie die SPD, geschieht ihr ganz recht. Franz Müntefering sieht noch immer ein Kommunikationsproblem: Die Politik sei gut, habe aber eine schlechte Presse. Es ist noch viel schlimmer: Sie hat die taz.

Nur die kritische taz brachte es fertig, den Testpanzer an die Türkei als „grünen Punktsieg“ zu feiern. Light wird einem da ums Herz. Das soll ja links sein.

Willi Winkler, „Süddeutsche Zeitung“, 15.11.1999

Voll witzig: Nackte Frauen auf Seite eins

Was ist der Sinn von Abo-Kampagnen? Erstens will eine Zeitung damit neue Leser gewinnen, die Auflage steigern und damit die Verkaufserlöse erhöhen. Vielen Blättern geht es ausschließlich nur darum, weshalb ihre Leserwerbung den Charakter einer Butterfahrt hat. Kaufen Sie zwei Töpfe, zahlen Sie für drei, dann kriegen Sie vier. Einer pfiffigen Zeitung geht es zweitens darum, reichlich mit den Töpfen Lärm zu machen. Keine Werbung ist so effizient wie jene, für die man keinen Pfennig zahlen muss. Im Zeitungsgeschäft bedeutet dies: Schlage laut Krawall, verstoße gegen Tabus und du kannst dir sicher sein, dass die Konkurrenz in langen Artikeln über dich berichten wird. Wobei es egal ist, ob dies mit positiven oder negativen Schlagzeilen geschieht – bad news are good news. Nur wenn sie über dich reden oder schreiben, bist du noch im Geschäft. Ob die Kampagne dann wirklich zu einer Auflagensteigerung führt, ist zweitrangig.

Die taz, das Kind von Kommune I und II, von antiautoritärer Erziehung, neuen sozialen Bewegungen, Grünen, Anti-AKW-Bewegung, respektlos, kritisch, Grün-linientrau, staatstragend, geliebt, gehasst, von wenigen gelesen, doch von vielen gekannt, weiß um das Prinzip. Also diesmal eine andere Abo-Kampagne, eine, über die andere sprechen und schreiben werden. Tun wir ihr den Gefallen.

Jürgen Amendt, „Neues Deutschland“, 30.10.1999 Falsche Taktik, Bascha von Mika

Haben Ihre Hoheit wohl geruht? Ist der Hofstaat fein am Schuften, sind die Audienzen organisiert, hat der Privatsekretär die Kammerzofen heute schon gerüffelt? Ach, es gibt so viele Dinge, um die sich eine Regentin dann am Ende doch selber kümmern muss! Diese Erfahrung haben Sie jetzt machen müssen, als Ihr – nein, das ist wirklich nicht böse gemeint! – Proletenblatt namens tageszeitung sich in einer einzigartigen Unterwerfungsgeste dem dekadenten, korrupten und allzeit zu verachtenden Hochadel vor die Füße, an den Hals und werweißwohinnoch warf. Wieder hatten Sie eine Ihrer berüchtigten Abo-Wetten verloren, die Sie nach alter taz-Tradition an der Erpresso-Maschine herstellen: Entweder 300 neue Abos oder Seiten deckende Inthronisation der Blaublüter!

Zuvor hatten die gar nicht so dummen bürgerlichen Leser per zivilem Ungehorsam bereits eine Ausgabe ohne Überschriften erzwungen, und nur geballtes Mitleid mit dem hochverehrten Dublin-Beauftragten des Blattes verhinderte die Zwangsverschickung der Auslandsreporter in Berliner Vororte. Aber das Prinzip ist, Sie merken’s, äußerst riskant. Denn der allen Experimenten gegenüber sehr aufgeschlossene taz-Sympathisant ist eben für gröberen Unfug immer zu haben und sagt sich bei jeder neuen „Drohung“: Na, das wollen wir doch mal sehen, wie die das hinkriegen.

Also wird aus lauter hämischer Neugierde, die ja stets größer ist als die Solidarität, extra nicht abonniert. Für den kommenden Samstag haben Sie die Zerstörung einer Solarzelle angekündigt ... Interessantes Projekt, wie das wohl geht – muss man die schmelzen, zerhacken oder bloß ins Kellerverlies sperren, wo sie dann elendiglich krepiert? Das sollte man sich auf keinen Fall entgehen lassen, kann man bestimmt was lernen dabei: Der Abo-Kupon bleibt hier.

Seien Sie also mutig und drehen Sie den Spieß um: Entweder es wird abonniert, oder es gibt keine taz auf Finnisch, keine von vorne bis hinten gereimte taz, keine taz mit Pin-up-Girls auf Seite 3, keine taz mit 999 Kontaktanzeigen, keine taz mit den geheimen Tagebüchern von Dieter Bohlens Gärtner. So und nur so könnte das klappen mit der Rettung.

Gerald Fitz, „Die Woche“, 29.10.1999

Der Mut zur Lücke

Wenn es die taz nicht mehr gäbe– was würde uns fehlen? Die einzige überregionale Tageszeitung der unabhängigen Linken, sicher. Aber die Inhalte machten gar nicht den Ruf der taz aus. Sondern etwas ganz anderes. Fehlen würden zum Beispiel die unorthodoxen TV-Kritiken der Seite Flimmern und Rauschen; die Rubrik Gurke des Tages. Oder der Augenblick, das tägliche ungewöhnliche Foto auf Seite 4. Oder Überschriften wie „Tut mir echt leid, Ehrenwort“ (Zu Stoltenbergs gegenüber Björn Engholm nach der Barschel-Affäre); Unterzeilen wie „Bierhoff eingebüchst, zehnlungig gerannt: Locker ledert Hertha den einst großen AC Mailand ab“ (Sportteil).

Fehlen würden journalistische Qualitäten, die in der deutschen Zeitungslandschaft bitter nötig sind: die verspielte Lust an der Sprache und dem Sprachwitz; Mut, die eigene Klientel zu provozieren, etwa mit despektierlichen Porträts. Mut zur Lücke: In jeder taz-Ausgabe gab es neben den Tagesthemen den Blick auf das Ungewöhnliche, das abseits der allgemeinen Wahrnehmung passiert (und deshalb in anderen Tageszeitungen spätestens um 18 Uhr rausfliegt, weil in Bonn etwas „Wichtiges“ vorgeht).

Genau deshalb haben große Magazine und Tageszeitungen immer wieder Nachwuchs von der kleinen taz abgeworben: Sie mussten sich den Ungehorsam, die Distanz zum „politischen Großgeschehen“ und zum kulturellen Blüten in einer Nische gedeihen und nicht in der routinierten Nachrichtenverwaltung der etablierten Verlage. Vielleicht gibt es keine Hoffnung für die taz. Aber die Pfotenabdrücke, die sie hinterlässt, sind deutlich.

Irene Jung, „Abendblatt“, 29.10.1999