Waffenstillstand in Korsika

Die wichtigste korsische Untergrundorganisation und drei andere bewaffnete Gruppen verkünden „bedingungslose und unbefristete“ Waffenruhe ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Zehn Tage nach Gesprächen mit dem französischen Premierminister Lionel Jospin hat die größte und brutalste nationalistische Organisation auf Korsika gestern einen „bedingungslosen und unbefristeten Waffenstillstand“ angekündigt. Die „FLNC-Canal historique“ mache diese weihnachtliche Geste gestern bei einer klandestin-theatralischen Pressekonferenz im Süden der Insel. Es ist der achte Waffenstillstand seit Gründung der FLNC 1975 und der erste bedingungslose seit 1981.

Mit dem Waffenstillstand wollten sie einen „Beitrag zum Frieden“ auf Korsika leisten, erklärten die bewaffneten Männer. Sie hatten in den vergangenen zwei Jahrzehnten zahlreiche Menschen ermordet, erpreßt und „revolutionäre Steuern“ eingetrieben.

Jean-Guy Talamoni, Rechtsanwalt und Sprecher des „legalen Arms“ der „FLNC-Canals historique“, der vor zehn Tagen zusammen mit Vertretern aller anderen Fraktionen aus dem korsischen Regionalparlament mit Jospin verhandelte, nannte die Geste seiner bewaffneten Freunde im französischen Radio „stark“. Er hoffe nun darauf, dass „die korsische Öffentlichkeit und Paris entsprechend positiv reagierten“.

Die meisten anderen bewaffneten nationalistischen Gruppen Korsikas hatten ihrerseits schon „Waffenstillstände“ angekündigt. Gestern wiederholten drei Gruppen, dass sie sich an die Erklärung des „FLNC-Canal historique“ halten würden. Die erst in den vergangenen Monaten aus radikalen und gegen den „Friedensprozeß mit Paris“ gerichteten Abspaltungen des „FLNC-Canal historique“ und anderer nationalistischer Verästelungen hervorgegangenen kleinen und noch relativ unbekannten Gruppen wie „Armata Corsa“ haben sich bislang nicht zum „Waffenstillstand“ geäußert. Den kleinen Gruppen werden mehrere bislang nicht aufgeklärte Morde der jüngeren Vergangenheit zur Last gelegt.

Sprecher mehrerer französischer Parteien begrüßten die gestrige Erklärung und sprachen von „neuer Hoffnung“. Der Vorsitzende der kommunistischen Fraktion in der korsischen Regionalversammlung, der während des Gesprächs bei Jospin von den Nationalisten einen „bedingungslosen Rückzug von der Gewalt“ verlangt hatte, nannte gestern die Erklärung einen „positiven Schritt auf dem Weg zu Frieden auf der Insel“. Er verlangte jedoch weitere „deutliche Zeichen“ von der Gruppe.

Unterdessen läuft der mutmaßliche Mörder des früheren korsischen Präfekten Erignac weiterhin frei herum. Der FLNC-Canals historique hatte in der ihm eigenen Dialektik zwar die Tat, aber nie den Täter verurteilt.