SantaKlaustrophobie

Dreimal lud sie einen Weihnachtsmann der Tusma zur Bescherung. Dreimal bescherten sie das Chaos. Sie sind pädagogisch, kurzsichtig oder überorganisiert. Ein Erfahrungsbericht ■ Von Ute Scheub

Den Sack hielt er festumklammert, aber jedesmal, wenn er ein Geschenk herausziehen wollte, griff er daneben

Ich schwöre euch: Unser sechsjähriger Sohn wird nicht mehr lang an den Weihnachtsmann glauben. Es wird für ihn eine Enttäuschung sein, sich anhören zu müssen, dass Santa Claus in Wahrheit ein kleines, von der Arbeitsvermittlung Tusma geschicktes Studentlein war. Aber nach dreimaliger Tusma-Bescherung würden weitere Experimente am lebenden Kleinkind langsam lebensgefährlich – für den Weihnachtsmann.

Der erste Bestellte im Jahre 1997 war ein typischer Fall von Überangepasstheit eines ausländischen Studiosus an deutsche Dummsitten. Als er in seinem roten Gewande hereinspazierte, verlangte ihn offenbar nach einem deftigen „Grüß Gott, Weihnachtsmann!“ aus dem staunenden Kindermunde: „Wie sagt man zu dem Weihnachtsmann?“ – „Her mit den Geschenken!“, krähte fröhlich der Nachwuchs. Vielleicht ein veritabler Schock für einen, der sich doch in erzieherischem Auftrag in unserem Haus wähnte. Also schickte sich der Zipfelmützerich an, seine gesamte restliche Sendezeit mit Pädagogik zu füllen. „Warst du auch immer brav? Nur artige Kinder kriegen Geschenke!“ usw. etc. pp. Zum Heulen.

Nur mit dem Prinzip Hoffnung ist zu erklären, warum ich im Jahre 1998 erneut einen Weihnachtsmann bestellte. Allerdings nicht ohne denselbigen zu ermahnen, ich als altmodische Nach-68erin bätte darum, pädagogische Tugenden, bitte, zu Hause zu lassen. Das tat er denn auch. Jener Santa Claus, übrigens diesmal ein Schotte, hatte ein ganz anderes Problem: seine Kurzsichtigkeit. Warum er der seltsamen Ansicht war, ein weihnachtsmännischer Auftritt mit Brille schicke sich nicht, konnte ich leider nicht ergründen; vielleicht ist das in Schottland ein üblicher Brauch, um die Schafe nicht zu erschrecken. Jedenfalls hatte er seine Gläser so auf die Stirn geschoben, dass sie unter der roten Mütze kaum mehr sichtbar waren, genausowenig wie für ihn seine Umgebung. Den Sack hielt er fest umklammert, aber jedesmal, als er ein von Söhnlein so heiß erwartetes Geschenk herausziehen wollte, griff er daneben. Söhnlein zappelte und wurde fast verrückt. Es war zum Gotterbarmen. Offenbar war er derselben Ansicht, jedenfalls machte er, dass er davonkam – und rannte mit voller Wucht gegen die geschlossene Zimmertür.

Ich kann es nur mit unausrottbarer Dummheit entschuldigen, dass ich auch 1999 wieder bei Tusma anrief. Aber dieses Weihnachtsmann, deutsch und gründlich bis in die Knochen, sollte alle anderen in den Schatten stellen.

Schon das Vorgespräch hatte es in sich. Eine halbe Stunde lang musste ich mir Ankunftszeiten und Telefonnummern notieren: seine eigene, die der Familie vor uns, der Familie nach uns, der Familie nach dieser Familie... jaja, für alle Fälle. „Und die Geschenke müssen mit großen, gut lesbaren Buchstaben beschriftet sein.“ Verstößt eine Überreichung ohne vollständige Adresse gegen die Postordnung?

Aber es gibt Bürokraten und Bürocraoten. Letztere sind so überorganisiert, dass sie trotz minutiöser Anstrengungen stets im Chaos enden. Dieser Weihnachtsmann schaffte es dank seiner minutengenauen Vorbereitungen jedenfalls, mehr als eine halbe Stunde zu spät zu kommen. Das Kind war inzwischen dem Wahne nahe, lauerte am Fenster, riss in regelmäßigen Abständen Blumentöpfe um und sah überall Weihnachtsmänner. Schließlich kam er denn doch. Trat schnuppernd, spähend, prüfend ins Zimmer: „Schöner Weihnachtsbaum.“ (Jaja) „Schöne Musik“. (Gell?) „Schönes Sofa.“ (?) „Schöner Herd.“ (?????) Was, überlegte ich fieberhaft, sollte ihn jetzt noch abhalten, die schönen Tempo-Taschentücher und die schönen Steuererklärungsformulare auf unserer Kommode zu loben?

Doch, zum Glück, er schwieg wieder. Lange. Sehr lange. „Ja, also ...“ „Ja ...“ Jaaaa???, sah ihn Söhnlein gespannt an. Offenbar wollte er zeigen, dass er nicht zu den Fünfminutenonkeln gehörte und seinen Lohn auch wirklich aussitzen konnte. Da war doch noch was? Ach ja, die Geschenke! Jedes einzelne Päckchen wurde gründlich hin und her, vor und zurück gedreht – schmerzlich fehlte die gut lesbare Beschriftung. „Das hier“, und er überreichte Söhnlein ein großes Paket, sichtlich stolz, dass ihm nun endlich mal was eingefallen war, „haben die Engel besonders gut eingepackt.“ „Du meinst die Wichtel“, stellte Sohnemann fest. „Engel gibt es doch nicht.“ „Ja, vielleicht sind Wichtel drin.“

Diesmal lief der Weihnachtsmann nicht gegen den Schrank. Das hatte er schon vorher erledigt. Zum Abschluss drückten wir ihm dennoch ein Päckchen mit Keksen und seinem Lohn in die Hand. Und trauten unseren Augen kaum: Er riss es vor aller Kinderaugen auf. Ich musste mich wirklich anstrengen, ihn nicht rauszuschmeißen.