Kohl-Vasallen rechnen mit Angela Merkel ab

Kanzler Schröder hält das Staatsverständnis Kohls für demokratiegefährdend. Schweizer Staatsanwaltschaft schätzt Bestechungsgelder und überhöhte Subventionen für Leuna auf 1,2 Milliarden Mark ■ Von Isabelle Siemes

Berlin (taz) – Bundeskanzler Gerhard Schröder hat seinen Vorgänger Helmut Kohl aufgefordert, „die Gesetze unseres Landes“ einzuhalten. Für „besonders gefährlich“ halte er das Staatsverständnis, das zu Tage getreten sei, „als Kohl gesagt hat, persönliche Beziehungen sind ihm wichtiger als juristische Formeln“. Doch die Gesetze der Demokratie müssten zu allererst für den Kanzler gelten. Sonst könne man nicht erwarten, „dass die Menschen die Gesetze befolgen“. Kohl habe zu „selbstgerecht“ gehandelt. Schröder fordert außerdem, Verstöße gegen das Parteiengesetz als Straftat zu ahnden.

SPD-Fraktionschef Peter Struck sprach sich dafür aus, nicht nur Geldstrafen, sondern auch „Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren“ bei Nichteinhalten des Parteiengesetzes zu verhängen. Zudem müsse die Aufbewahrungsfrist für Spendenquittungen verlängert werden. Rezzo Schlauch, Fraktionssprecher von Bündnis 90/Grüne, verlangte eine Obergrenze von 50.000 Mark pro Spende.

Während die Regierungsparteien eine einheitliche Linie aufbauen, streiten Kohls Erben weiter über den Umgang mit ihrem Übervater. Der Vorstoß der CDU-Generalsekretärin Angela Merkel, die Partei müsse sich vom Altkanzler emanzipieren, führte inzwischen zu harscher Kritik aus den eigenen Reihen. CDU-Präsidiumsmitglied Arnold Vaatz warnte davor, „die Aufregung über das von Kohl selbst eingeräumte Fehlverhalten so ins Kraut schießen zu lassen“. Man dürfe nicht vergessen, dass Kohl „die europäische Nachkriegsordnung wesentlich geprägt hat“. Auch der thüringische Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU) nahm Kohl in Schutz. Er könne die „Äußerungen von Frau Merkel nicht mittragen“. CDU-Parteivize Volker Rühe hält die Emanziationsforderungen der Generalsekretärin für „unverständlich“, denn die „neue Parteiführung habe längst ihre eigenes Selbstbewußtsein“. Die Christdemokraten befänden sich nicht in einer „pubertären Phase“ wie Merkel in ihren Artikel in der Frankfurter-Allgemeinen-Zeitung behaupte.

Der frühere Staatsminister im Kanzleramt, Anton Pfeifer, CDU, kritisierte: „Den Beitrag der CDU-Generalsekretärin halte ich weder inhaltlich noch von der Wortwahl her für hilfreich.“ Sein Parteifreund, Ex-Kanzleramtsminister Freidrich Bohl, schimpfte, Merkels Äußerungen entsprächen „nicht dem Stil der CDU“ und würden der Lebensleistung Helmut Kohls nicht gerecht.

Laut Welt am Sonntag gibt es in der CDU-Führung Spekulationen, dass Merkel ihren Artikel nicht selbst verfaßt habe, sondern „ferngesteuert“ sei. Die 45-Jährige hingegen erklärte, sie „stehe zu jedem Wort“.

Doch in der CDU gibt es nicht nur Schelte für Angela Merkel. Manche folgen ihrer Kritik und verlangen personelle Konsequenzen aus der Spendenaffäre. CDU-Mitglied Ekkehard Neugebauer, der vor einigen Wochen als erster Strafanzeige gegen den Altkanzler erstattet hatte, stellte nun einen Antrag auf Parteiausschluss Kohls. Der Altkanzler habe die „Glaubwürdigkeit des christlichen Menschenbildes“ beschädigt, heißt es in seinem Schreiben an den Parteivorstand. Zudem müsse die Verstrickung der alten und neuen Vorstandsmitglieder in die Spendenaffäre geklärt werden. „Schuld sind nicht nur die, die es tun, sondern auch die, die es nicht verhindern“, zitiert das CDU-Mitglied den Schriftsteller Erich Kästner.

Der Frankfurter Politikwissenschaftler Iring Fetscher erklärte im Hessischen Rundfunk, die Erklärung Kohls, er habe mit mit der rechtswidrigen Spendenannahme nur einen guten Zweck verfolgt, könne er nicht akzeptieren. „Ich kann auch einen guten Zweck verfolgen, indem ich eine Bank ausraube und das Geld meinem bedürftigen Bruder gebe“, sagte Fetscher. Er forderte, Kohl solle sein Bundestagsmandat niederlegen.

Im Zusammenhang mit der Leuna-Affäre haben unterdessen Schweizer Ermittler auf mehr als 300 Konten verdächtige Geldtransfers ausgemacht. Das bestätigte der Genfer Generalstaatsanwalt Bernhard Bertossa. Er schätzt die Gesamtsumme der bei dem französischen Konzern Elf Aquitaine veruntreuten Gelder auf mehr als 1,2 Milliarden Mark. Bislang war im Zusammenhang mit dem Verkauf der ostdeutschen Leuna-Raffinierie von Bestechungsgeldern und überhöhten Subventionen in Höhe von 85 Millionen Mark die Rede. Ein Teil des Schmiergeldes, so vermutet die französische Presse, soll auf CDU-Konten gelandet sein. Nach Darstellung der Zeitschrift Paris-Match hat Helmut Kohl die französische Regierung und den Elf-Konzern unter Druck gesetz, am Raffinerieprojekt Leuna festzuhalten. Die Zeitschrift berichtet über einen Brief, den Kohl im Februar 1994 an den damaligen französischen Premierminister Edouard Balladur geschrieben hat. Hintergrund der „kaum verhüllten Drohungen“ könnten Bestechungsgelder an die CDU sein.