Das Ökosystem kann sich am besten selbst helfen

Wenn das Öl die Strände erreicht, warten meist schon die Kolonnen mit heißem Wasser und Chemikalien, um das Öl wegzuschaffen. Doch das schadet der Natur mehr, als es nützt

Es war die größte Ölkatastrophe der Geschichte. Aus zerbombten Tankanlagen, gesprengten Pipelines und zerstörten Tankschiffen flossen im zweiten Golfkrieg 1991 bis zu eine Million Tonnen Erdöl in den Persischen Golf. Der „Krieg gegen die Natur“, so die Expertenmeinung, würde den Golf lange Zeit in ein totes Meer verwandeln.

Es kam anders. Die Fische und Pflanzen in der viel befahrenen Tankerstraße erholten sich überraschend schnell. „Es dauerte etwa fünf Jahre, bis die Krabbenzucht sich erholt hatte“, resümiert Paul Horsman, Ölexperte der Umweltschutzorganisation Greenpeace.

Zwischen zwei und acht Jahre nur habe das Ökosystem an dieser Stelle gebraucht, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Denn durch die dauernde und schleichende Belastung mit Öl sind im Persischen Golf Öl fressende Bakterien aktiver als anderswo. Für Horsman gilt deshalb: Alles tun, um eine Ölpest wie jetzt vor der französischen Atlantikküste zu vermeiden – doch im Falle eines Falles „überlässt man das Aufräumen zu großen Teilen am besten der Natur“. Denn Studien über die Langzeitwirkungen zeigen: Nach Jahren oder Jahrzenten hat sich je nach Klima, Küste und Belastung die Natur von einer Ölpest meist weitgehend erholt.

Woran vor allem die fragilen Küstenbiotope aber noch sehr lange leiden ist der massive Einsatz von schwerem Gerät, um die Strände zu säubern. So zeigte die bretonische Küste zwar bereits eine deutliche Erholung drei Jahre, nachdem der Supertanker „Amoco Cadiz“ 1979 dort auseinandergebrochen war und 250.000 Tonnen Öl ins Meer geflossen waren. Noch zwanzig Jahre später allerdings registrieren Umweltforscher bleibende Schäden an den Strandabschnitten, die durch das Abtragen des Erdreichs „grundsaniert“ worden waren.

Auch die Wildnis in Alaska war nach dem Tankerunglück der „Exxon Valdez“ dieser doppelten Belastung ausgesetzt. Nach Angaben von Greenpeace Alaska wurden die Öl fressenden Bakterien durch den Einsatz von heißem Wasser aus Hochdruckschläuchen geradezu „abgekocht“. Der Einsatz von Chemikalien sei eine zusätzliche Belastung gewesen, ebenso wie die Abgase aus tausenden von Tonnen Treibstoff, den die 11.000 Arbeiter mit Booten und Hubschraubern in die Luft bliesen. Die US-Behörde National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) gestand ein, dass das Absterben von Strandpflanzen auf die Strandsäuberung zurückgeführt werden könne.

Für Michael Winkler, Leiter der Abteilung Umweltschutz beim deutschen Mineralölwirtschaftsverband, ist der Einsatz von chemischen Lösemitteln dagegen berechtigt. Wenn das Abschöpfen, etwa wegen schwerer See, nicht möglich sei, verhinderten die Chemikalien das Anlanden des Öls und die Verseuchung von Vögeln, indem sie den Ölteppich aufbrechen und das Öl zu Boden sinken lassen. „Da liegt es dann in Brocken und kann langsam von den überall vorkommenden Bakterien zersetzt werden“, so Winkler. Schließlich sei Öl ein natürlicher Stoff, der auch von der Natur abgebaut werde, sagt Hartmut Nies vom Bundesamt für Seeschifffahrt. Doch durch Chemikalien treibe man möglicherweise „den Teufel mit dem Beelzebub aus“.

„Was man in so einer Situation auch tut, es ist verkehrt“, meint Nies. Auch Greenpeace-Experte Horsman räumt ein, dass der Schaden einer Säuberungsaktion ihren Nutzen überschreitet, wenn sie etwa im Marschgelände, weichem Meeresboden wie in Flussmündungen oder an zerklüfteten Felsküsten stattfindet. Weite Sandstrände wie einige der in Frankreich betroffenen Gegenden seien dagegen durchaus per Hand zu säubern. „Jede Ölpest ist anders und erfordert genau abgestimmte Maßnahmen“, sagt Horsman. Aber grundsätzlich gelte: Man müsse sich sehr vorsehen, um den Schaden durch die Aufräumarbeiten nicht noch größer zu machen.

Auch um die zweite Variante der Aufräumaktionen nach einer Ölpest gibt es unter Umweltschützern verschiedene Meinungen: das Einsammeln und Säubern von verölten Vögeln. Während dies traditionell als Beitrag zum Erhalt gefährdeter Populationen gesehen wurde, sind heute viele Tierschützer anderer Ansicht. Denn Vögel, die mit Öl in Berührung kommen, verlieren den isolierenden Schutz ihres eingefetteten Gefieders. Die Folge: Sie erfrieren oder ertrinken.

Nach der Strandung des Frachters „Pallas“ in der Nordsee vor einem Jahr und der Verölung von etwa 30.000 Vögeln schickte deshalb der World Wide Fund for Nature (WWF) seine Freiwilligen an den Strand. Nicht um die Opfer der Ölpest zu säubern – sondern um ihnen möglichst schnell und schmerzlos das Genick zu brechen. Bernhard Pötter