Die Feinde als Vermittler?

Indiens feindliches Verhältnis zu Pakistan und den Taliban in Afghanistan mindert die Chancen einer erfolgreichen Lösung im Geiseldrama ■ Aus Delhi Bernard Imhasly

Der afghanische Botschafter Masud Khalili wurde am Sonntagabend im indischen Fernsehen zur Flugzeugentführung befragt. Sein Rat: eine Kommandoaktion in Kandahar durchzuführen, wo das indische Flugzeug festgehalten wird. Den Taliban sei nicht zu trauen, da sie mit den Entführern unter einer Decke steckten. Botschafter Khalili war, wie die Zuschauer bald merkten, nicht der Gesandte der Taliban in Delhi, sondern jener des Regimes von Burhanuddin Rabbani, dem Präsidenten von noch etwa 15 Prozent des afghanischen Territoriums. Delhi erkennt wie fast alle Staaten immer noch Rabbanis Regierung an, während diejenige der Taliban von nur drei Ländern anerkannt wird.

Indien lässt Botschafter Khalili auch weiter in Delhi residieren, weil die Taliban nicht nur Ussama Bin Laden bewirten, sondern auch Gruppen, die sich für den „Heiligen Krieg“ in Kaschmir ausbilden lassen. Unter den in Indien gefangenen „Freiheitskämpfern“ befinden sich heute immer weniger Kaschmirer, dafür zunehmend Pakistaner und Afghanen, weshalb Delhi für den Taliban-Gegner Ahmed Shah Massud Partei ergreift.

Die Flugzeugentführer mögen nicht direkt in Afghanistan ausgebildet worden sein, die Beziehungen zwischen der „Harkat al-Ansar“, deren Anführer sie freipressen wollen, und den Taliban ist jedoch aktenkundig. 1995 hatte sich kein Geringerer als Sheikh Fazlur Rehman nach Delhi begeben, um im Zusammenhang mit der Entführung von vier westlichen Touristen – darunter dem deutschen Dirk Hasert – zu vermitteln. Wie bei der jüngsten Entführung sollte auch damals Maulana Azhar freigepresst werden. Sheikh Fazlur ist ein Vertrauter von Taliban-Führer Mullah Omar und Führer der pakistanischen Jamat-Ulema-Islami-Partei, deren religiöse Schulen die Taliban ausbildeten. Indien kann schlecht mit einem Regime kooperieren, das am liebsten alle Beteiligten in Freiheit sehen würde – nicht nur die Passagiere von Flug IC 814, sondern auch die Entführer und den verehrten Maulana, Mitbegründer der Harkat.

Schwierig ist auch die Zusammenarbeit mit Pakistan. Gestern Nachmittag bestätigte Indiens Regierung, dass vier der sechs Entführer Pakistaner sind (die beiden anderen kommen aus Nepal und Afghanistan). Die vier sollen am Freitag mit einem pakistanischen Linienflug aus Karatschi in Katmandu eingetroffen sein, wo sie direkt auf das abflugbereite indische Flugzeug umstiegen – mit Hilfe von Bordkarten, die der Nepalese besorgt haben soll. Islamabad wies dies als absurd zurück. Aber mit dem Beweismaterial, das Indien inzwischen besitzt und das die Verwicklung des pakistanischen militärischen Geheimdienstes ISI im Kaschmirkonflikt zeigt, fällt es der Regierung in Delhi schwer, mit Islamabad zusammenzuarbeiten. Dennoch hat Delhi keine Alternative, als mit den Taliban und Pakistan wenigstens minimal zu kooperieren, um das Geiseldrama zu lösen. Die Option, die UNO einzuschalten, wurde von Delhi nicht weiter verfolgt. Denn es hat eine UN-Vermittlung (wie von jeder Drittmacht) im Kaschmirkonflikt bisher immer ausgeschlagen, weil es diesen als bilateral betrachtet. Das Mandat von Erik de Mul, dem Afghanistan-Beauftragten der UNO, war daher so eng auf humanitäre Aspekte begrenzt, dass dieser nach einem Kurzaufenthalt am Sonntag in Kandahar noch am gleichen Tag nach Islamabad zurückkehrte. Hinter den Kulissen sind auch die USA tätig, die einzige Macht, die in Pakistan ihren Einfluss geltend machen kann und dies auch tut, weil unter den Entführten auch ein US-Staatsbürger sein soll.

Dass Kooperation auf niedrigem Niveau, wie die Entsendung einer indischen Verhandlungsdelegation nach Kandahar, möglich ist, entspringt der Einsicht in Pakistan und bei den Taliban, dass eine Verweigerung beide offen zu Mitverschworenen machen würde. Dies würde die Taliban endgültig zu „Terroristen“ stempeln, nachdem sie sich bisher weigerten, Ussama Bin Laden auszuliefern. Und Pakistan ist nach dem Militärputsch vom Oktober bemüht, sich als verantwortungsbewusster Staat zu legitimieren.

Indien bietet sich damit die kleine Chance, direkt in die Verhandlungen eingreifen zu können. Mit erfahrenen Terrorismus-Experten an Bord der Maschine, die gestern Abend in Kandahar landete, hofft Delhi, die Entführer mit psychologischen Mitteln zur Aufgabe zu bewegen. Aber ohne die Drohung einer Kommandoaktion, die ohne Einverständnis Pakistans und der Taliban unrealistisch ist, haben die Inder nur einen Trumpf – den pakistanischen Staatsbürger Maulana Azhar. Doch in Indien wächst der Druck, Azhar freizusetzen, um nicht das Leben von 162 Personen zu riskieren. Deren Angehörige sind zu Verbündeten der Kidnapper geworden. Am Sonntag waren in Delhi Demonstranten zu sehen, die Poster mit der Aufschrift trugen: „Freiheit für Azhar!“