„Angenehmen Weltuntergang“

■ Der Chaos Computer Club rätselt im Haus am Köllnischen Park über das mögliche Computerchaos zu Silvester. Damit sie nicht in Verdacht kommen, beenden die Hacker ihr Treffen schon heute

Die Raverhosen schlackern um die untrainierten Beine. Allein oder zu zweit sitzen sie vor unzähligen Computern. Einer steuert mit der Maus ein Flugzeug durch die Schluchten einer Stadt, bei anderen erscheinen Zahlen auf dem Bildschirm. Ihr Spiel heißt „Linux Death-Match“. Jeder versucht das Betriebssystem auf dem Computer des anderen zum Absturz zu bringen. Der Sieger überlebt.

Auf dem 16. Chaos Communication Congress des Chaos Computer Clubs, der noch heute im Haus am Köllnischen Park stattfindet, läuft das reale Überleben dem virtuellen Überleben jedoch fast den Rang ab. Das Millennium naht. Und so schwirren auch auf dem Kongress derjenigen, die es ja eigentlich genau wissen müssten, die wirrsten Gerüchte um das Chaos in der Millenniumsnacht und drohende Katastrophen durch Computerausfälle umher.

Im Vorfeld sei diskutiert worden, so erzählt der 48-jährige Alterspräsident Wau Holland, ob der Kongress nicht bis über das Millennium hinaus verlängert werden solle, aber „das war uns allen zu viel. Oder wollen Sie hier in Mitte unter 1,5 Millionen Menschen sein, der Strom fällt aus und eine Massenpanik bricht aus?“, fragt er. Natürlich könne niemand wirklich vorher sagen, was in dieser Nacht der Nächte alles passieren werde. Viele glauben zumindest, dass das gesamte Telefonnetz zusammenbrechen wird.

Der Sprecher des Chaos Computer Clubs, Andy Müller-Maghun, nennt noch einen anderen Grund, warum die Hacker heute ihren Kongress beenden. Die Szene wolle nicht in den Verdacht geraten, bei möglichen Ausfällen die Finger im Spiel gehabt zu haben. In Amerika seien gerade die Gesetze gegen Hacker verschärft worden, sagt er, während der Weg am Raum vorbeiführt, wo die Meisterschaften im Schlossöffnen stattfinden.

Ein paar erwachsene Männer versuchen je ein Schloss mit Handwerkszeug der traditionellen Diebeszunft zu öffnen. „Das verbindende Motiv zwischen dem mechanischen Lockpicking und dem Hacken im Internet ist die Neugier. Wir wollen hinter eine verschlossene Tür blicken“, hatte Holland erklärt.

Der traditionellen Mechanik traut auch Maghun letztlich mehr als der komplizierten Elektronik: „Nicht einmal die Experten, die komplizierte Systeme installieren, verstehen es noch in der Gänze. In Osteuropa kann im Fall des Chaos wenigstens noch per Hand abgeschaltet werden.“ Das Millennium sei letztlich, so findet auch er, für niemanden realistisch einzuschätzen. Grundsätzlich hätten aber die Unternehmen mehr Angst vor einem Rufschaden als vor einem tatsächlichen Problem. Dass aber zumindest eine Großbank in Deutschland sich tatsächlich auf das Schlimmste vorbereitet, will Maghun aus sicherer Quelle wissen. Die Bank, in Frankfurt am Main ansässig, habe außerhalb ihres normalen Rechenzentrums in einem Vorort ein zweites Rechenzentrum mit Notstromaggregat. Der Vorstand der Bank habe ob des Millenniums jedoch Sorge gehabt, im Fall des Chaos nicht mehr zu dem ausgelagerten Rechenzentrum gelangen zu können. Die Bank habe sich deshalb zehn Katastrophenfahrgeräte gekauft, mit denen man über im Weg stehende Autos einfach hinwegfahren könnte, erzählt Maghun.

Er selbst jedenfalls will die Millenniumsnacht am Fernseher verbringen. „Schauen Sie, hier haben wir eine Weltkarte mit den Zeitzonen und den Atomkraftwerken.“ Die Japaner seien mit dem Millennium etwa acht Stunden vor den Westeuropäern dran und der technologische Standard der Atomkraftwerke sei etwa der gleiche. „Da kann man bei den weltweiten Nachrichtensendern schon am Nachmittag sehen, was einem um zwölf Uhr bevorsteht“, meint Maghun. Aber es sei ja auch schick, ein wenig düster zu orakeln. Und dann dreht er sich um, lächelt und sagt: „Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Weltuntergang.“ Annette Rollmann