Ein kurzer Film über die Unmittelbarkeit

Der französische Mann trägt heute Verunsicherung: Pascal Bonitzers „Rien sur Robert“

Auch der französische Mann trägt inzwischen Verunsicherung zu den Prada-Schuhen. Robert zum Beispiel. Robert ist Mitte dreißig und Kritiker. Kein ganz einfacher Job, wie es scheint, und dann hat er auch noch dieses Problem mit der Welt. Grübelnd sieht er sie an sich vorbeiziehen, und manchmal schaut sie plötzlich zurück.

Journalismus als Dispositiv der Paranoia: Robert braucht nur in ein Bistro zu huschen, um Zigaretten zu kaufen, schon ist er sich sicher, dass alle dort nur darauf gewartet haben, ihn zu beobachten. Wer so im Zentrum steht, hat manchmal das Problem, Menschen nicht mehr in ihrer Subjekthaftigkeit wahrzunehmen.

Robert hat zudem das Pech, das Glück zu haben, mit einer wunderbar direkten Frau zusammen zu sein. Juliette (Sandrine Kiberlain!) holt ihn wie einen Luftballon auf den Boden zurück. Zum Beispiel wenn sie im Café ausführlich erzählt, wie ihr neuer Lover sie erfolgreich gevögelt hat. Im Auto redet Robert von Leuten, die ihn ständig begaffen, und Juliette sagt: „Halt an, ich steig aus.“ Trotzdem gehen sie dann noch zusammen in einen Park, und schon wieder erteilt Juliette Robert eine Lektion in Sachen Unmittelbarkeit: Sie quatscht einen attraktiven Typen auf einer Bank an, der beschimpft sie kurz darauf als Fotze, und Robert – hat abseits seine Lauscher auf Empfang gestellt. Eingreifen in die Abläufe des (eigenen) Lebens, das ist seine Sache nicht.

Regisseur Pascal Bonitzer schreibt seit über zwanzig Jahren Drehbücher, vor allem für Jacques Rivette und André Téchiné. Bei „Rien sur Robert“ hat er zum zweiten Mal (nach „Encore“ mit Valeria Bruni-Tedeschi) ein eigenes Buch verfilmt. Seit 1969 ist Bonitzer Filmkritiker, und er war Redakteur der psychoanalytischen Zeitschrift L’Âne.

Psychonanalyse dürfte auch der Schlüssel sein, um die Türen zu öffnen, die der Autor uns hier öffnet und doch immer wieder vor der Nase zuschlägt. Es gibt in dem Film einen ganzen Abschnitt, den man komplett als Inszenierung eines Traums „lesen“ kann: Kritiker Robert kommt in ein einsames Landhaus. Er weiß nicht genau, ob er wirklich eingeladen ist. Der Hausherr, furchterregend patriarchisch verkörpert von Michel Piccoli, gibt ein Essen. Er weiß irgendwoher, dass Robert einen Film besprochen (und natürlich verrissen) hat, den er gar nicht gesehen hat. „Die Selbstsicherheit des Schüchternen“ sei es, was dieses Kritikerleben eines Unentschiedenen und Feiglings zusammenhalte. Robert vergeht der Appetit.

Als Robert der peinlichen Bloßstellung durch den Übervater zu entfliehen sucht, gerät er in den ersten Stock des Hauses. Ganz fliehen kann er nicht, draußen regnet es inzwischen und stürmt. Da das Unbewusste immer gern auf Dachböden und in dunklen Kammern haust, knallt plötzlich die Tür hinter Robert zu. Er ist gefangen. Wie lautet das Kennwort?, fragt eine Frauenstimme. Robert weiß es nicht. Er wird trotzdem befreit, und Aurelie, ein dunkles Geschöpf (der erotische Gegenentwurf zu Juliette), formt seine dunkelroten Lippen, um Robert das Kennwort beizubringen. Es lautet „Pampelmuse“.

Robert ist verloren, aber der ödipale Horror ist noch lange nicht vorbei. Als die manische, gerade einmal nur leicht depressive Aurelie vor dem mit geschlossenen Augen dastehenden Robert das schwarze Etwas, das sie in ihrem dunklen Kinderzimmer an Festtagen trägt, an sich hinuntergleiten lässt, öffnet sich die Tür.

Nicht nur wegen dieser Szene hätte auch Gevatter Freud Bonitzers Film wohl gemocht. Merkwürdig. Beim ersten Sehen hatte ich noch gedacht, „Rien sur Robert“ handle vor allem von zwei Frauen. Andreas Becker

„Rien sur Robert“. Regie: Pascal Bonitzer. Mit: Fabrice Luchini, Sandrine Kiberlain, Valentina Cervi, Michel Piccoli u. a. Frankreich 1999. 107 Min.